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{{Person | |||
''' | |Bild=Louis Kissinger mit Ehefrau Paula Stern 1921.jpg | ||
|Vorname=Louis | |||
|Nachname=Kissinger | |||
|Geschlecht=männlich | |||
|Geburtsdatum=1887/02/02 | |||
|Geburtsort=Ermershausen | |||
|Todesdatum=1982/03/19 | |||
|Todesort=New York City | |||
|Beruf=Lehrer | |||
|Religion=Jüdisch | |||
}} | |||
{{Auszeichnung | |||
|Auszeichnung=Louis-Kissinger-Preis | |||
|VerleihungAm=2012 | |||
}} | |||
{{Familie | |||
|Person=Henry Kissinger | |||
|Verwandtschaftsgrad=Sohn | |||
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{{Familie | |||
|Person=David Kissinger | |||
|Verwandtschaftsgrad=Vater | |||
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{{Familie | |||
|Person=Lina Kissinger | |||
|Verwandtschaftsgrad=Mutter | |||
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{{Familie | |||
|Person=Paula Stern | |||
|Verwandtschaftsgrad=Ehefrau | |||
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{{Familie | |||
|Person=Walter Kissinger | |||
|Verwandtschaftsgrad=Sohn | |||
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[[Datei:Unterschrift Louis Kissinger 1975.jpg|miniatur|rechts|Unterschrift Louis Kissinger]] | |||
'''Louis Kissinger''' (geb. [[2. Februar]] [[1887]] in Ermershausen, gest. [[19. März]] [[1982]] in New York City<ref>In einigen Quellen wird der Todestag mit dem 14. März 1982 angegeben.</ref>) war von Beruf [[Lehrer]] und der Vater von [[Henry Kissinger]].<ref>Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 50 ff.</ref> Louis Kissinger wird als zweitältester Sohn von [[David Kissinger|David und Lina Kissinger]] geboren. Seine Jugend verbrachte Louis sorglos im unterfränkischen Ermershausen, einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Haßfurt. Louis war der erste Kissinger, der gewissermaßen eine Familientradition brach, in dem er nicht mehr ausschließlich den Beruf des sog. "Judenlehrers" ''([[wikipedia:Rabbi (Gelehrter)|Rabbi]])'' erlernte, sondern Lehrer im öffentlichen Dienst werden wollte und damit auch nichtjüdische Kinder unterrichten mochte. | |||
== Ausbildung und Lehre == | == Ausbildung und Lehre == | ||
[[Datei:Louis Kissinger mit Vater David Kissinger.jpg|miniatur|rechts|Louis Kissinger mit Vater David Kissinger, ca. 1945]] | [[Datei:Louis Kissinger mit Vater David Kissinger.jpg|miniatur|rechts|Louis Kissinger mit Vater David Kissinger, ca. 1945]] | ||
Im Jahr [[1900]] | Im Jahr [[1900]] kam Louis Kissinger mit nur 13 Jahren auf die königliche Präparandenschule in Arnstein. Die Präparandenschule war um die Jahrhundertwende eine Art untere Stufe der Volksschullehrerausbildung.<ref>Präparandenanstalt. Wikipedia, abgerufen am 6. Juni 2015 | 18:34 Uhr [https://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4parandenanstalt online]</ref> Bereits [[1901]] zählte er zu den "Besten seines Kurses".<ref>Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 50</ref> Sein Jahreszeugnis zählte noch weitere positive Eigenschaften auf, u. a. hieß es darin: "''Durch seine vielen Geistesanlagen, ... seinen lobenswürdigen Hausfleiß, verbunden mit Eifer und Aufmerksamkeit beim Unterricht, hat er in allen Gegenständen die Zufriedenheit seiner Lehrer erworben. Sein religiössittliches, sein disziplinäres Verhalten war durchaus tadelfrei"''.<ref>Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 50</ref> | ||
== Kissingers Berufsleben in Fürth == | == Kissingers Berufsleben in Fürth == | ||
Mit 18 Jahren | Mit 18 Jahren bewarb sich Louis Kissinger zum ersten Mal um eine Lehrerstelle und kam somit auch zum ersten Mal mit Fürth in Berührung. Er bewarb sich beim [[Vereinigtes Heberlein’sches und Arnstein’sches Institut|Vereinigten Heberlein’schen und Arnstein’schen Institut]], das [[1848]] von [[Simon Geiershöfer]] als Privatinstitut für Mädchen gegründet wurde und [[1883]] mit der privaten Heberleinschen Töchterschule zusammengeführt wurde. Es war die erste private höhere Mädchenschule in Fürth, die ursprünglich für Töchter aus jüdischen Häusern gegründet wurde. Um die Jahrhundertwende wurden auch Schülerinnen des christlichen Glaubens zugelassen, so dass die eine Hälfte jüdischen und die andere Hälfte christlichen Glaubens war, meist des evangelischen. Nach knapp 60 Jahren schloß [[1907]] die Schule ihre Pforten, nachdem das städtische [[Helene-Lange-Gymnasium|Mädchenlyzeum]] an der [[Tannenstraße]] den Unterricht aufgenommen hatte. | ||
[[Datei:Louis Kissinger mit Schülerinnen 1920.jpg|miniatur|rechts|Louis Kissinger mit Schülerinnen, ca. 1920]] | [[Datei:Louis Kissinger mit Schülerinnen 1920.jpg|miniatur|rechts|Louis Kissinger mit Schülerinnen, ca. 1920]] | ||
Im November [[1905]] | Im November [[1905]] hielt Louis Kissinger jedoch erst einmal seinen Einstand in der Heberlein- und Arnsteinischen Höheren Mädchenschule. Er durfte dort bis zu fünf Wochenstunden den [[wikipedia:Israelitische Kultusgemeinde|israelitischen]] Religionsunterricht in den unteren Klassen abhalten. Im März [[1906]] wurde Kissinger durch das Rabbinat im Unterricht geprüft. In dem schriftlich verfassten Bericht über den Unterricht wird es später heißen: ''"Ich freue mich nun, sagen zu können, dass mich ... gründlich vorgenommene außerordentliche Visitation vollständig befriedigt hat. Im Interesse der Schule empfehle ich dringend, für dieses Jahr in dieser kombinierten Abteilung einen weiteren Lehrerwechsel zu verhüten, umsomehr als .. Herr Kissinger den richtigen Ton im Umgang mit seinen Schülerinnen zu treffen scheint.''"<ref>Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 51</ref> Gleiches wusste sein Schulleiter über Louis Kissingers Leistungen zu berichten. Am [[18. September]] [[1906]] schrieb der Schulleiter in das Zeugnis von Louis Kissinger: "''Herr Louis Kissinger ... wirkt seit dem Schulbeginn 1905 an der ... Schule des Unterzeichneten als Lehrer der III. und IV. Klasse. Der Unterzeichnete bezeugt genau, dass der verhältnismäßig sehr junge Lehrer sich gleich zu anfangs seiner beruflichen Tätigkeit als ungemein fleißiger, fähiger und rühriger Pädagoge erwies, sich bisher als äußerst gewissenhaft, pünktlich und pflichtgenau nach jeder Richtung hin bewährte und infolge seiner Berufsfreudigkeit und Liebe zu den Kindern ganz vorzügliche Unterrichtsresultate erzielte.''"<ref>Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 52</ref> | ||
[[Datei:Louis Kissinger.jpg|miniatur|links|Louis Kissinger im Kreis seiner Kollegen, ca. 1920]] | |||
Privat schien Kissinger zunächst in einem Zimmer in der [[Theaterstraße]] zur Untermiete gewohnt zu haben. Es folgte eine Wohnung beim Bäckermeister Berle Oppenheimer in der [[Hirschenstraße]] <ref>Evi Kurz: ''The Kissinger Saga''; [https://books.google.de/books?id=JItllljeH0oC&pg=PT20&lpg=PT20&dq=berle+oppenheimer+f%C3%BCrth&source=bl&ots=Hf_W-xPQGM&sig=ACfU3U1PoY8T_dprwHBuikCtnDhrfmCkrw&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwjKzoK_9N3zAhWMqaQKHfG8ArIQ6AF6BAggEAM#v=onepage&q=berle%20oppenheimer%20f%C3%BCrth&f=false - online]</ref>, bis er Anfang Dezember [[1908]] in der [[Schwabacher Straße 40 / 42| Schwabacher Straße 42]] eine Wohnung bezog. Zur gleichen Zeit unterrichtete Louis Kissinger ebenfalls in der [[1897]] gegründeten privaten [[Heckmannschule]], die er vermutlich als Dienststelle nutzte, nachdem das Heberlein- und Arnsteinische Institut [[1907]] schließen musste. Er unterrichtet nun - nach seiner Anstellungsprüfung am [[20. September]] [[1909]] - die Knaben der Heckmannschule. Sein Jahresgehalt betrug 1.000 [[wikipedia:Mark (1871)|Mark]]. Seine Anstellung in der Heckmannschule dauerte knapp 10 Jahre. Dabei unterrichtete er in der reinen Knabenschule Deutsch, Rechnen und Realien (also Naturwissenschaften, wie Erdkunde, Geschichte, Biologie oder Physik/Chemie). | |||
Vom Kriegsdienst im [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] [[1914]] - [[1918]] als Lehrer befreit, suchte Kissinger nach Möglichkeiten seiner beruflichen Weiterentwicklung. Er bewarb sich mehrfach an anderen Schulen, so z. B. [[1910]] an der Israelitischen Präparandenschule Talmud-Thora in Burgpreppach, allerdings lehnte er diese Stellen immer wieder ab. Kissinger lehnte auch [[1918]] eine Stelle im oberschlesischen Beuthen ab, die ihm 4.000 Mark für seine Tätigkeit "''hauptsächlich in (der) Erteilung des Religionsunterrichts, Hebräisch und den damit verwandten Fächern in der Jüdischen Volksschule, Gymnasium, Realgymnasium und Lyzeum''" geboten hatten.<ref>Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 54</ref> | |||
Am 29. April 1917 | Am [[29. April]] [[1917]] bewarb sich Louis Kissinger, inzwischen 30 Jahre alt, beim Königlich Bayerischen Staatsministerium des Inneren für Kirchen- und Schulangelegenheiten für die Zulassung zur Reifeprüfung an Realgymnasien. Kurze Zeit später erfolgte die Zulassung zur Prüfung. Zur gleichen Zeit beantragte Kissinger in Fürth das Bürgerrecht, das ihm am [[20. November]] [[1917]] zugesprochen wurde. Kissinger hatte bereits im Oktober [[1917]] das Studium der Kameralistik (Buchführung, öffentliche Verwaltung) und Philosophie an der Universität in Erlangen begonnen. Am [[10. April]] [[1919]] erhielt Kissinger erstmals ein Abgangszeugnis, so dass seiner Anstellung im öffentlichen Dienst nichts mehr im Weg stand. Im Jahresbericht der Städtischen Höheren Mädchenschule in Fürth wurde Kissinger [[1919]]/[[1920]] erstmals als Hauptlehrer für Deutsch, Rechnen und Realien erwähnt. Am [[3. März]] [[1920]] erhielt Kissinger durch eine Regierungsentschließung die Festanstellung an der höheren Mädchenschule, dem heutigen [[Helene-Lange-Gymnasium]]. Seine Schüler nannten Kissinger "Kissus" und manche Mädchen beschrieben ihn als "''stets korrekt gekleideten, mit Fliege, später vorzugsweise mit Krawatte zum meist dreiteiligen Anzug''" gekleideten Lehrer, der gerne mit einem Buch unter dem Arm beschwingt - fast hüpfend - zum Pult im Klassenzimmer eilte mit den Worten "''Setzen, setzen!''". Während die Mädchen eher für ihn schwärmten, schienen die Knaben seine "Schwächen" bald erkannt zu haben, denn als besonders strenger Lehrer, der den Stock zur Disziplinierung einsetzte, wurde er nicht beschrieben. Kissinger hatte zwar - wie damals üblich - einen Stock griffbreit, aber zum Einsatz kam er scheinbar so gut wie nie. Dies schien einige Schüler immer wieder zu Streichen gegen Kissinger anzuregen. | ||
Louis Kissinger war inzwischen seit [[1921]] Hauptlehrer, der seit [[1919]] immerhin bei der Stadt Fürth festangestellt war, wenn auch nur zu einem geringen Lohn. Die Inflation hatte sein Erspartes aufgefressen, so dass die wirtschaftlichen Verhältnisse am Anfang alles andere als rosig aussahen. Er heiratete am [[14. August]] [[1922]] die Liebe seines Lebens, die 14 Jahre jüngere [[Paula Kissinger]] in Ansbach, die er bereits während seiner Schulzeit kennen gelernt hatte. Die Familie Kissinger zieht zunächst in eine kleine Balkonwohnung in der [[Mathildenstraße 23]]. Ab [[1924]] verbesserte sich langsam die finanzielle Lage, zumal Louis Kissinger am [[1. September]] [[1924]] zum Oberlehrer befördert wurde - und sich somit eine bessere Gehaltssitutation einstellte. Mit der Beförderung folgte auch ein Umzug aus der Mathildenstraße im Januar [[1925]] in eine geräumigere Wohnung in der [[Marienstraße 5]]. | |||
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Die Wohnung war auch deshalb zu klein geworden, da am [[27. Mai]] [[1923]] der Sohn [[Henry Kissinger|Heinz Alfred Kissinger]] geboren worden war. Er kam mit Hilfe einer Hebamme in der [[Mathildenstraße 23]] auf die Welt, bereits ein Jahr später folgte der Bruder [[Walter Kissinger|Walter Bernhard Kissinger]] am [[21. Juni]] [[1924]]. Beide Söhne wuchsen in einer typisch bürgerlichen Welt auf, wurden aber gleichzeitig streng religiös durch die Eltern erzogen. Beide hatten Klavierunterricht, der Besuch des Theaters gehörte zum Pflichtprogramm. | |||
Louis Kissinger war vom [[10. Oktober]] [[1919]] bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand am [[9. Oktober]] [[1933]] an der Schule als Lehrer tätig. | |||
== Verfolgung während der NS-Zeit == | == Verfolgung während der NS-Zeit == | ||
[[Datei:Ausreiseerlaubnis Louis Kissinger 1938.jpg|miniatur|rechts|Ausreiseerlaubnis, Mai 1938]] | [[Datei:Ausreiseerlaubnis Louis Kissinger 1938.jpg|miniatur|rechts|Ausreiseerlaubnis, Mai 1938]] | ||
Nach dem [[1. April]] [[1933]] | Nach dem [[1. April]] [[1933]] wurden durch den reichsweiten Boykott gegen jüdische Geschäfte (→ [[wikipedia:Judenboykott|Judenboykott]]) die ersten Aktionen spürbar für die jüdische Bevölkerung. Für Walter und Heinz Kissinger war zunächst die Schulzeit an einer öffentlichen Schule beendet, da Ende April 1933 die faktische Schließung öffentlicher Bildungseinrichtungen für jüdische Schuler und Studenten den Besuch einer öffentlichen Schule unmöglich machten. Gleiches galt auch für die Eltern Louis und [[Paula Kissinger]]. Durch die "Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" wurde Kissinger als Gymnasiallehrer über Nacht arbeitslos, die letzten Zeugnisse unterschriebt Kissinger am [[6. April]] [[1933]] - am [[2. Mai]] [[1933]] wurde er zwangsbeurlaubt.<ref>Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 89</ref> | ||
Am [[9. Oktober]] [[1933]] | Am [[9. Oktober]] [[1933]] wurde der 47-jährige Kissinger durch das Bay. Staatsministerium des Innern zum Beginn des Schuljahres 1933/1934 in den "dauerhaften Ruhestand" versetzt. Die Tatsache, dass er weiterhin seine vollen Bezüge erhielt, ändert nichts daran, dass Kissinger in eine schwere Krise stürzte. Erschwerend kam für ihn hinzu, dass seine ehemaligen Kollegen zunehmend auf Distanz gingen - kein einziger wollte nach 1933 zu ihm stehen. Auch im Privaten gingen Freunde und Bekannte zunehmend auf Distanz, so dass sich die Kissingers recht schnell in Fürth isoliert fühlten. Es ist Paula Kissinger, die schließlich die Entscheidung traff, Deutschland zu verlassen. Am [[24. April]] [[1938]] beantragt Louis Kissinger schließlich die Ausstellung von Pässen beim Polizeiamt Fürth, da sie die "Absicht haben", mit der Familie in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Bereits eine Woche später, am [[29. April]] [[1938]], genehmigte die Gestapo die Ausreise. Am [[10. August]] [[1938]] - nur drei Monate vor der Reichspogromnacht - meldete Louis Kissinger sich und seine Familie beim Polizeipräsidium Fürth offiziell ab. Kurz darauf waren sie auf dem Weg nach London, bis sie schließlich am [[30. August]] [[1938]] per Schiff an Bord der "Ile de France" von Le Havre nach New York City übersetzten. | ||
== Neuanfang in den USA == | == Neuanfang in den USA == | ||
Für Louis Kissinger ist die Ankunft in den Vereinigten Staaten ein Kulturschock. Aufgrund seines hohen Anspruches an sich und seinen Beruf als Lehrer, kann er nicht an seine urprüngliche Form anknüpfen. Der Beruf des Lehrers scheint für ihn unerreichbar, zumal er im Englischen sehr unsicher ist. Es folgt eine Zeit der Depression für Kissinger, die seine Frau Paula zum Handeln zwingt. Die deutlich jüngere Ehefrau kann sich besser anpassen und mit Hilfe ihrer Sprachkenntnisse gelingt ihr die notwendige Integration. Sie kommt über das "Council of Jewish Women" in das Dienstleistungsgewerbe und erlernt den Beruf der Köchin, auch wenn sie das Kochen nach eigenen Angaben hasst. Paula Kissinger bietet bald einen Partyservice an, so dass das Einkommen der Familie gesichert scheint. Die Söhne unterstützen die Familie, in dem sie vor Schulbeginn die Zeitung austragen oder in einer Rasiererpinselfabrik arbeiten. [[1940]] findet Louis Kissinger wieder eine Anstellung, jedoch nicht als Lehrer, sondern als Buchhalter einer metallverarbeitenden Firma. Durch das Einkommen von Louis Kissinger und durch den zunehmenden Erfolg Paula Kissingers - auch im Bereich des nicht-koscheren Essens - kann sich die Familie wieder etablieren und in das bessere Viertel Washington Heights umziehen. Noch während die beiden Söhne das Studieren anfangen, werden sie zum Kriegsdienst eingezogen. | Für Louis Kissinger ist die Ankunft in den Vereinigten Staaten ein Kulturschock. Aufgrund seines hohen Anspruches an sich und seinen Beruf als Lehrer, kann er nicht an seine urprüngliche Form anknüpfen. Der Beruf des Lehrers scheint für ihn unerreichbar, zumal er im Englischen sehr unsicher ist. Es folgt eine Zeit der Depression für Kissinger, die seine Frau Paula zum Handeln zwingt. Die deutlich jüngere Ehefrau kann sich besser anpassen und mit Hilfe ihrer Sprachkenntnisse gelingt ihr die notwendige Integration. Sie kommt über das "Council of Jewish Women" in das Dienstleistungsgewerbe und erlernt den Beruf der Köchin, auch wenn sie das Kochen nach eigenen Angaben hasst. Paula Kissinger bietet bald einen Partyservice an, so dass das Einkommen der Familie gesichert scheint. Die Söhne unterstützen die Familie, in dem sie vor Schulbeginn die Zeitung austragen oder in einer Rasiererpinselfabrik arbeiten. [[1940]] findet Louis Kissinger wieder eine Anstellung, jedoch nicht als Lehrer, sondern als Buchhalter einer metallverarbeitenden Firma. Durch das Einkommen von Louis Kissinger und durch den zunehmenden Erfolg Paula Kissingers - auch im Bereich des nicht-koscheren Essens - kann sich die Familie wieder etablieren und in das bessere Viertel Washington Heights umziehen. Noch während die beiden Söhne das Studieren anfangen, werden sie zum Kriegsdienst eingezogen. | ||
Vor allem an Louis Kissinger schien die psychische Belastung während des [[Zweiter Weltkrieg| | Vor allem an Louis Kissinger schien die psychische Belastung während des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieges]] nicht spurlos vorbei zu gehen. Er verharrt während der Kriegsjahre in einer depressiven Grundstimmung. Bald wird er nicht mehr berufsfähig sein, und die Ärzte diagnostizieren zu allem Überfluss auch noch einen Bauchspeicheldrüsenkrebs (Pankreaskarzinom). [[1945]] kommt es zur Operation Louis Kissingers, wofür Henry Kissinger sogar einige Tage Heimaturlaub bewilligt bekam. Zum Glück stellte sich die todbringende Diagnose als harmlose Gallenblasenentzündung heraus, so dass einer Gesundung nichts im Weg stand. Auch die Tatsache, dass beide Söhne den Zweiten Weltkrieg überlebten, verhalf Louis Kissinger wieder zu vollen Genesung. | ||
Auf Drängen der Söhne [[Walter Kissinger|Walter]] und | Auf Drängen der Söhne [[Walter Kissinger|Walter]] und Henry Kissinger unternehmen Louis und Paula Kissinger [[1952]] erstmals wieder eine größere Reise nach Europa, um u. a. die Gräber der eigenen Familie und Angehörigen zu besuchen. Die meisten Familienmitglieder, denen die Flucht ins rettende Ausland nicht gelang, wurden nach [[wikipedia:Ghetto Izbica|Izbica]] deportiert und vermutlich in den Gaskammern der [[wikipedia:Vernichtungslager Sobibor|Vernichtungslager Sobibor]] sowie [[wikipedia:Vernichtungslager Belzec|Belzec]] ermordet. Mit dem ersten Besuch schwinden die Ängste, wieder in die Heimat zurück zu kehren, dennoch kehren die Kissingers während der 1950er Jahre Fürth und Leutershausen den Rücken zu, "wo einst die Heimat" war. Vermutlich ist der Schmerz der Erinnerung zu groß, der nächste Besuch in Fürth wird erst wieder [[1975]] sein. | ||
== Besuch in Fürth 1975 == | == Besuch in Fürth 1975 == | ||
[[Datei:Rede Louis Kissinger 1975.jpg|miniatur|rechts|Redeauszug von L. Kissinger, Dez. 1975]] | [[Datei:Rede Louis Kissinger 1975.jpg|miniatur|rechts|Redeauszug von L. Kissinger, Dez. 1975]] | ||
Am [[15. Dezember]] [[1975]] besuchte die Familie Kissinger erneut Fürth. Inzwischen war Henry Kissinger seit [[1973]] Außenminister der USA unter [[wikipedia:Richard Nixon|Richard Nixon]] und aufgrund seiner Mitwirkung am [[wikipedia:Vietnamkrieg|Vietnamkrieg]] höchst umstritten. Das Bayerische Staatsministerium des Innern ordnete deshalb beim Besuch in Fürth die Sicherheitsstufe II an, und schloss ein "abstraktes Gefährdungsmoment" nicht aus, da man befürchtete, dass "bestimmte linken Gruppen" den Besuch zum Anlass nehmen könnten, um mit Aktionen auf ihre Organisation und Ziele aufmerksam zu machen.<ref>Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 168</ref> Neben einigen amerikanischen Sicherheitsbeamten wurden rund 400 Polizisten bei dem Besuch in Fürth aufgeboten. Nach Berechnung der Fürther Nachrichten waren bei dem Besuch Kissingers in Fürth genauso viele Polizisten im Einsatz wie bei einem Besuch von [[wikipedia:Willy Brandt|Willy Brandt]]. Für den Besuch in Fürth wurde eigens aus Bonn ein gepanzerter Mercedes Benz 600 eingeflogen, und während ihrer Anwesenheit in Fürth kreisten ständig Hubschrauber über dem Ort des Aufenthaltes der Gäste. Im festlich geschmückten [[Stadttheater]] hatten sich 400 geladene Gäste eingefunden, zuvor standen hunderte von Fürthern an der Straße, so dass die New York Times den Besuch in Fürth mit folgenden Worten titelte: "''Kissinger besucht seine Heimatstadt und bekommt großen Applaus''". Im Stadttheater begrüßen der bay. Ministerpräsident Alfons Goppel und der Außenminister Hans Dietrich Genscher die Familie Kissinger, die sich sichtlich davon beeindruckt zeigen. Die Nürnberger Nachrichten berichteten am nächsten Tag: "''Wenn etwas rührend war an dieser kurzen Stippvisite eines vielbeschäftigten Stardiplomaten, dann war es das liebe und respektvolle Vater-Sohn-Verhältnis... also ob vor allem die Verbundenheit mit dem greisen Vater, mit der immer noch agilen Mutter ihn eine Lücke im randvollen Terminkalender für den Fürther Trip finden ließ.''"<ref>Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 170</ref> | |||
[[Datei:Familie Kissinger Parkhotel.jpg|miniatur|rechts|Unterschriften der Familie Kissinger, vermutlich Dez. 1975]] | |||
Im Anschluss fand ein kleiner Festakt mit Fürths [[Oberbürgermeister]] [[Kurt Scherzer]] und geladenen Gästen im Casino der [[Stadtsparkasse]] statt. Dabei übergab der Bürgermeister von Ermershausen, der auf ausdrücklichen Wunsch von Louis Kissinger eingeladen war, den Eltern nicht nur einen Zinnteller, sondern auch eine Schallplatte "Ermershausen", auf dem ein Bild des Geburtsortes Louis Kissingers zu sehen war. [[Kurt Scherzer]] übergab ein sorgfältig ausgesuchtes Geschenk, nämlich den zweiten Band der fünf Bücher des jüdischen Pentateuch mit dem Titel "Exodus". Das Buch wurde [[1802]] von David Zirndorfer gedruckt und zeigt auf dem Titelblatt das Fürther Wappen in den Fängen des preußischen Adlers.<ref>Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 173</ref> Louis Kissinger las anschließend eine vorbereitete Rede, die alle mit Spannung erwarteten. Louis Kissinger sprach in Deutsch und gestand "''ich bin kein geborener Fürther, aber ich haben den größten Teil meines Lebens in Deutschland in Fürth verbracht. Hier habe ich meine Familie gegründet, hier wurden meine zwei Söhne geboren, hier waren die glücklichen Jahren meines beruflichen Schaffens.''" Nach seiner Ansprache sprach Louis Kissinger über [[Henry Kissinger]] und seine Rolle im Friedensprozess in Vietnam. Niemand widersprach ihm, auch wenn es zu diesem Zeitpunkt schon Zweifel an seiner Rolle aufkamen. | |||
Am nächsten Tag | Nach dem Treffen in der [[Stadtsparkasse]] ging es zum ersten und einzigen Mal seit 37 Jahren gemeinsam zum [[Neuer Jüdischer Friedhof|Israelitischen Friedhof]] in Fürth. Falk Stern, Paulas Vater, der Großvater von Henry und [[Walter Kissinger]] ist hier beigesetzt; die Öffentlichkeit war zum ersten Mal an diesem Tag gänzlich ausgeschlossen. Danach ging es im Familienkreis im [[Parkhotel]] für die Familie weiter, mit Ausnahme von Henry Kissinger, der bereits auf dem Weg nach Paris war. | ||
Am nächsten Tag besuchten Louis und [[Paula Kissinger]] Leutershausen, wo ihnen unerwartet ein "großer Bahnhof" bereitet wurde. Die früheren Freunde Karl und Babby Hezner, die bis zuletzt zu Louis Kissinger gehalten hatten, waren bereits verstorben. Lediglich die Töchter Lore und Erika waren noch am Leben und begrüßen die Familie aufs Herzlichste. Am Abend des [[16. Dezember]] [[1975]] traf Louis Kissinger ehemalige Schülerinnen aus seiner Lehrerzeit. Am letzten Tag seines Besuches ging es zur [[Fiorda|Israelitischen Kultusgemeinde]] in der [[Blumenstraße]], wo er auch Hugo Oppenheimer wiedersah, bei dessen Eltern er während seiner Junggesellenzeit gewohnt hatte. Letzte Anlaufstelle in Fürth war nach der [[Synagoge]] in der Julienstraße die Tannenstraße - seine letzte Wirkungsstätte in Fürth als Lehrer. Am [[18. Dezember]] [[1975]] traten Paula und Louis Kissinger wieder den Rückweg in die USA an. Ein erneutes gemeinsames Wiedersehen mit Fürth wird es nicht mehr geben. | |||
Die Ehefrau [[Paula Kissinger]] verstarb [[1998]] im Alter von 97 Jahren.<ref>{{Quelle Wikipedia|Henry Kissinger}}</ref> | |||
[[Datei:Todesanzeige Louis Kissinger 1982.jpg|miniatur|rechts|Todesanzeige, 1982]] | [[Datei:Todesanzeige Louis Kissinger 1982.jpg|miniatur|rechts|Todesanzeige, 1982]] | ||
Louis Kissinger | Louis Kissinger starb im Alter von 95 Jahren am [[19. März]] [[1982]] in New York City<ref>Jüdisches Unterfranken, Biographische Datenbank. Abgerufen am 7. Juni 2015 | 2:59 Uhr [http://www.historisches-unterfranken.uni-wuerzburg.de/test/web324w/juf/detailsinclude.php?global=;search;25513;;;1;;;;;;;;;;;;;;;alle;;;;;~ORDER~BY~Name,Vorname~;;;;;25507;1;111111111111111111;;ENDE; online]</ref>, seine Frau Paula Kissinger verstarb 16 Jahre später am [[15. November]] [[1998]] im Alter von 97 Jahren in ihrem Apartment an der Fort Washington Avenue 615 in New York City, das die Familie [[1940]] bezogen hatte. | ||
== Louis-Kissinger-Preis == | |||
Der '''[[Louis-Kissinger-Preis]]''' ist ein von der Stadt Fürth erstmalig [[2012]] für vorbildhaft engagierte Pädagoginnen und Pädagogen jeglicher Schularten ausgelobter Preis. Er geht auf eine Schenkung der beiden Söhne [[Walter Kissinger|Walter]] und Henry Kissinger zurück, die aus der Lebensversicherung ihres Vaters Louis Kissinger einen Sockelbetrag von 4.700 Euro spendeten. Weitere Beiträge aus der Privatwirtschaft sollen das Vermögen aufstocken, aus dem der Preis ausgeschüttet wird. | |||
== Literatur == | |||
* Evi Kurz: [[Die Kissinger-Saga (Buch)|Die Kissinger Saga]]. TLF TimeLineFilm, 2007. | |||
== Siehe auch == | == Siehe auch == | ||
* [[Kissinger]] | * [[Kissinger]] | ||
* [[Paula Kissinger]] | |||
* [[Meyer Loeb Kissinger]] | * [[Meyer Loeb Kissinger]] | ||
* [[Abraham Kissinger]] | * [[Abraham Kissinger]] | ||
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* [[Louis-Kissinger-Preis]] | * [[Louis-Kissinger-Preis]] | ||
== | == Einzelnachweise == | ||
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