Ernst-Ludwig Vogel DAS LEBEN IN DER STADT - ALPTRAUM ODER WÜNSCHT RAUM ODER SONST NOCH 'WAS? ÜBERLEGUNGEN ZUR DENKMALPFLEGE IM RAHMEN STÄDTEBAULICHER INTENTIONEN Verlust ästhetischer Qualität durch W irtschaftlich keit und Pragmatismus Die jüngste Vergangenheit hat immer wieder gezeigt, daß wirtschaftliches Wachstum allein nicht mehr als Maßstab für den Fortschritt gelten kann; denn hierdurch wurden allzu o ft — vor allem in großen Städten — Stadtkerne von Menschen entleert. Verkehrsprobleme und ihre meist mehr autogerechten als menschengerechten Pseudo lösungen haben den Bürger allenthalben brutalisiert, und eine einfalls lose Konfektions-Architektur hat viel zu häufig für ein aus tauschbares Allerweltsgesicht unserer Städte gesorgt (Ein kaufszentren, Verwaltungsbunker, Betonsärge u.ä.). Die Po litiker haben leider in den seltensten Fällen kapiert, daß es ernsthaft zu prüfen gilt, wann und wo wirtschaftlicher Vor teil durch eine sonst unvertretbare Benachteiligung unserer Umwelt erkauft werden darf. Die Innenstadt ist im allgemeinen prädestiniert, m ultifunktionaler Standort und Schauplatz des öffentlichen Lebens zu sein. Hier vollzieht sich die Repräsentation aller gesell schaftlich relevanten Kräfte. Wohin die Stadtentwicklung auch immer gehen sott, langfristige Planungen sind jeden falls gleichermaßen unentbehrlich wie eine gründliche Über prüfung der historischen Voraussetzungen für den jeweils aktuellen Entwicklungsstand.
A lt und Neu in harmonischem Nebeneinander, Restauration nicht um jeden Preis Deshalb hatten schon vor etlichen Jahren (noch vor Denk malschutzjahr u.ä.) K ritiker in kluger Voraussicht (wie etwa der damalige Stadtdirektor von Hannover, Martin Neuffer, in „Städtebau für alle" aus dem Jahr 1970) vor einem am bitionierten, aber bedenkenlosen Abriß alter Bausubstanz gewarnt — auch dann, wenn sie moderne Nutzung erschwe ren sollte! „Selbst da, wo man glaubt, alte Gebäude ange sichts einer reichen historischen ßausubstanz bedenkenlos opfern zu können, sollte man sich auf jeden Fall einmal vor her vergewissern, daß das Neue genügend Qualität besitzt, um den Abriß des Alten zu rechtfertigen. Funktionelle Überlegenheit und Angepaßtheit an gegenwärtige Nutzungs bedürfnisse allein genügen dazu n ic h t." Etwa ein substan ziell intaktes und architekturästhetisch bedeutsames Stadt palais abzubrechen, nur weil es ökonomisch-funktionalen Anforderungen nicht genügt, und es womöglich dann noch durch ein historisierend-restauratives Bauwerk ersetzen — besser machen (?) - zu wollen: dies kann nur als ein kunsthistorisch-instinktloses Vergehen am Denkmalschutz einer seits, an den autonomen Gesetzmäßigkeiten gegenwärtiger Architektur andererseits verstanden werden. Schon 1908 hat der Kunsthistoriker Georg Dehio sich m it derlei Phänomenen auseinandergesetzt, indem er feststetlte: „D er Historismus des 19. Jahrhunderts hat außer seiner echten Tochter, der Denkmalpflege, auch ein illegitimes Kind gezeugt, das Restaurationswesen. Sie werden o ft miteinander verwechselt und sind doch Antipoden. Die Denkmalpflege w ill Bestehendes erhalten, die Restauration w ill Nichtbestehendes wiederherstellen. Der Unterschied ist durchschlagend. A uf der einen Seite die vielleicht ver kürzte, verblaßte W irklichkeit aber immer W irklichkeit auf der anderen die Fiktion ... Man kann nur konservieren, was noch ist. M itten unter die ehrliche W irklichkeit Masken und Gespenster sich einmischen sehen, erfüllt m it Grauen.” Und in der „Charta von Athen” —der Architektenbibel aus dem Jahr 1934 — findet sich folgende Stelle: „D ie Meister werke der Vergangenheit beweisen uns, daß jede Genera tion ihre A rt zu denken hatte, ihre Auffassung, ihre Ästhe tik , daß sie die Gesamtheit der technischen M ittel ihrer eigenen Epoche aufrief, ihr als Sprungbrett ihrer Phantasie zu dienen... Die Anwendung der modernen Technik auf ein verjährtes Ideal führt immer nur zu einem sinnlosen Trug bild des ganzen Lebens.”
Die Historie geht vor der Gegenwart in die Knie: Brachial architektur in der Fürther Innenstadt Durch das Städtebauförderungsgesetz wurden die dringend notwendigen Bemühungen um die Sanierung unserer Stadt kerne, meist ja die Altstadlquartiere der einzelnen Kommu nen, zwar intensiviert und vorangetrieben; freilich bedeute te dies auch in den meisten Fällen den Abbruch über Jahr hunderte gewachsener Stadtteile, die Auflösung alter Struk turen, die bedingungslose Unterordnung unter die Forde rungen des Autoverkehrs, den scheinbar klassenlosen Neu bau monotoner „Wohnapparate". Der frühere Fürther Kahlschlag im Gänsberg-Bereich stellte jahrelang ein solches Schreckgespenst dar, die heutige Wie derbebauung — m it so manchen Fragwürdigkeiten — konnte dies nur unzureichend wiedergutmachen. Eine im Prinzip zwar gut gemeinte, aber im Detail recht historisierend-abstruse „Disneyland-Architektur" kann eben historisch ge wachsene, abwechslungsreich sich weiterentwickelnde A lt stadtstruktur nicht ersetzen, die auch durch natürliche Ver fallserscheinungen keine qualitativen Einbußen erleidet, sondern sich dadurch erst als lebendiger Organismus er weist.
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Alle diese Überlegungen zeigen doch einen erheblichen Respekt vor den Leistungen der Vergangenheit, ohne je doch der jeweiligen Gegenwart ihre eigene Leistungsfähig keit abzusprechen; vorausgesetzt, man unterläßt unter dem Deckmantel „Denkmalpflege" historisierende, also falsch verstandene A rch itektu r-Darbietu nge n. Vielmehr gilt es, sich von der Einbildung zu befreien, daß alles, auch das eigenständigste Kunstwerk, per Reproduk tion ersetzbar sei oder daß dank architekturtheatralischer Inszenierung alles machbar sei, was dann als vermeintlich originär angepriesen wird, in W irklichkeit jedoch nostal gisch-fanatische Restauration um jeden Preis darstellt. Ehrlicher und angemessener also ist es, existente historische Architektur von erkennbarer Qualität zu erhalten und sie durch differenziert abgestimmte, zeitgenössische Bauwerke zu ergänzen, die in Proportion, Dimension, Gestaltwert und Detailfülle ihre vorgegebene bauliche Umgebung aufgreifen und unter Umständen noch betonen.
Muß unsere städtische Umwelt vor ihrer eigenen Entwicklung geschützt werden? Dem materiellen Wohlstand, der Verbesserung des Wohn komforts und der Schaffung großer Geschäfts- und Ver waltungszentren, vor allem aber der Wahnvorstellung, unsere bis dahin auf menschliches Zusammenleben aus-