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Altstadtverein _______ Fürth

Vergebliches - derWeg zu Hitlers willigen Vollstreckern Das Jüdische Museum bietet demjenigen, der es vorurteils­ frei und wohlwollend betritt, vie­ le Anregungen und manche lie­

ben ließen - suchten vor allem rechtsgerichtete Kreise einen Sündenbock und fanden ihn un­ ter anderem in den Juden. Die

Ein frühes Foto des Dichters Jakob Wassermann (/873-1934). datiert auf I905. Repro: A. Mayer, Original im Jüdischen Museum Franken.

fe Eindrücke. Am eindrucksvoll­ sten ist für mich der Themenbe­ reich Vergebliches. Gegenüber­ liegende Spiegel mit ihrer theoretisch - unendlichen Ge­ genspiegelung konfrontieren den Besucher mit dem Resü­ mee von „Mein Weg als Deut­ scher und Jude" des in Fürth geborenen Schriftstellers Jakob Wassermann. Nach der unerwarteten schwe­ ren Niederlage im Ersten Welt­ krieg - bei dem übrigens 12.000 deutsche Juden ihr Le­ 12

deutsche Führungsschicht mußte trotz oder gerade wegen der Auflösung der bisherigen Staatsform dem „gemeinen Volk“ eine Erklärung für die schwere Niederlage liefern, die ja die bisherigen Eliten zu ver­ antworten hatten. Bei den revolutionären Unruhen nach dem Krieg waren vor allem in München Juden im Füh­ rungskader überproportional stark vertreten. Um so leichter war es, den sowieso vorhande­ nen Antisemitismus dazu zu ge­

brauchen, um von den tatsäch­ lich Verantwortlichen für Krieg und Niederlage abzulenken. Erst nach dem Ersten Weltkrieg gewann der schon immer vor­ handene Antisemitismus seine gefährliche Dynamik. Und so formulierte Jakob Wassermann 1921 resigniert und ratlos die im Spiegelsaal des Jüdischen Museums im Auszug wiederge­ geben Worte: „Es ist vergeblich, das Volk der Dichter und Denker im Namen seiner Dichter und Denker zu beschwören. Jedes Vorurteil, das man abgetan glaubt, bringt, wie Aas die Würmer, tausend neue zutage. Es ist vergeblich, die rechte Wange hinzuhalten, wenn die linke geschlagen worden ist. Es macht sie nicht im mindesten bedenklich, es rührt sie nicht, es entwaffnet sie nicht: Sie schlagen auch die rechte. Es ist vergeblich, in das tob­ süchtige Geschrei Worte der Vernunft zu werfen... Es ist vergeblich, für sie zu le­ ben und für sie zu sterben. Sie sagen: er ist ein Jude.“ Der Saal verweist damit zwar in erster Linie auf das persönliche Dilemma des Dichters und mancher anderer Juden, die sich sowohl als Deutsche wie auch als Juden fühlten, und kei­ ne dieser Identitäten aufgeben wollten. Andere Lebenserinne­ rungen deutscher Dichter jüdi­ scher Herkunft gehen auf diese Thematik überhaupt nicht ein, wie zum Beispiel „Eine Jugend in Deutschland" von Ernst Toller. Der Spiegelsaal verweist aber über dieses häufige, aber nicht verailgemeinerbare Dilemma hinaus auf die nach wie vor un­ gelöste Frage, wie es auf der ganz persönlichen, individuellen Ebene zur Schoa, zum Holo­ caust kommen konnte. „Hitlers willige Vollstrecker" von Daniel Jonah Goldhagen löste vor wenigen Jahren eine größe­ re Diskussion aus. Die breite

Front der Ablehnung resultierte - so meine Überzeugung - in erster Linie daraus, daß die bis­ herige Forschung im Gegensatz zu Goldhagen eine naheliegen­ de, zentrale Fragestellung we­ der beantwortet noch unter­ sucht hatte: Wie konnten ganz normale Deutsche unzählige Juden, „Zi­ geuner“, Slawen, Behinderte, Kommunisten und andere Un­ schuldige grausam quälen und umbringen, ohne dazu gezwun­ gen zu sein? Die vielen vernichtenden Kriti­ ken zu Goldhagens Buch bezo­ gen sich eher auf formale Feh­ ler, drückten sich aber um eine Antwort darauf, warum diese Frage in der notwendig zuge­ spitzten Form bisher weder ge­ stellt noch beantwortet wurde. Goldhagen weist in seiner ein­ dringlichen Darstellung anhand von kaum zu bezweifelnden Quellenmaterial nach, daß we­ der Offiziere noch Mannschaf­ ten direkt an den Morden und Mißhandlungen teilnehmen mußten; dies war auch bekannt - nur sehr wenige machten in­ des von den entsprechenden Ausweichmöglichkeiten Ge­ brauch. Allerdings möchte ich deutlich vermerken, daß auch mich die Antworten von Goldhagen nicht voll überzeugen. Er postuliert ei­ nen historisch verwurzelten „eliminatorische Antisemitismus“ der Deutschen. Wenngleich ich dies für die Zeit von 1933 bis 1945 gelten lassen möchte, so war und bin ich der Überzeu­ gung, daß der Antisemitismus in seiner Form, die nach Ausch­ witz führte, erst in den letzten Jahren vor dem Ersten Welt­ krieg vorbereitet und ab 1915 virulent wurde. Der Dreiklang Leiden, Opfer und Enttäu­ schung waren ein Keim, der das Verhältnis „Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust“ (Untertitel von Goldhagens Buch) mitbestimmte.