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Burgervereinigung St. Michael Altstadtbladdla —

Tatsache, daß unter den heutigen Verhält­ nissen Deutschlands das Wirtshaus das ein­ zige Lokal ist, in dem die niederen Volksklas­ sen zusammenkommen und ihre gemeinsame Angelegenheiten be­ sprechen können. Ohne Wirtshaus gibt es für den deutschen Pro­ letarier nicht bloß kein geselliges, sondern auch kein politisches Leben“. Kein Wunder, daß die SPD in einer Kneipe ge­ gründet wurde: am 9. August 1869 unter der Wartburg im Eisen­ acher Wirtshaus „Zum goldenen Löwen“. In der Ex-DDR war diese Kneipe „Nationale Ge­ denkstätte“. dies ist im vergoldeten Schriftzug über dem Eingang nach wie vor zu lesen. Im Gartenlokal „Tivoli“ des nahen Gotha verei­ nigten sich dann 1875 diese „Eisenacher“ mit dem bis dahin konkur­ rierenden Allgemeinen Deutschen Arbeiter­ verein von Ferdinand Lassalle. Nationallibera­ le und Konservative im Reichstag beschlossen daraufhin im Herbst 1878 das „Gesetz ge­ gen die gemeingefährli­ chen Bestrebungen der Sozialdemokratie“, das sog. Sozialistengesetz.

Von 1878 bis 1890 war der SPD damit jede au­ ßerparlamentarische Agitation und Ver­ sammlung verboten, in dieser Zeit wurden Wirtshäuser zu zentra­ len Organisations- und Diskussionsorten. Die Obrigkeit versuchte dem durch Einschrän­ kungen der Schankkon­ zessionen entgegenzutrecen. Kaiser Wilhelm

II lehnte 1890 eine Ar­ beitszeitverkürzung ab, weil dann „die Arbeiter mehr Zeit in den Knei­ pen zubringen und da­ mit um so sicherer in den Sumpf des politi­ schen Radikalismus ab­ gleiten“ würden. Bürgerlich-konservati ­ ve Kreise führten die Attraktivität der Knei­ pe nicht auf das Bedürf­ nis nach Kommunikati­ on, politischer Betäti­ gung und Geselligkeit oder auf die beengten Wohnverhältnisse zu­ ruck; Der (konservativ­ burgerliche) „Deutsche Verein für Armenpflege und Wohlfahrt“ beklag­ te beispielsweise 1889 die „Unfähigkeit der Frauen zur Haushalts­ führung“ als Wurzel al­ len Übels: „Auf diesen Mangel ist es zurückzu­ führen, wenn ... der Mann aus dem unbe­ haglichen Heim ins Wirtshaus ... getrieben wird. So vermehrt sich die Schar jener Un­ glücklichen, welche un­ zufrieden mit Gott und der Welt, von Haß und Neid erfüllt ... zu willi­ gen Werkzeugen in der Hand revolutionärer Agitatoren werden“. Bei der damals zentra­ len Stellung der Institu­ tion Kneipe für die Ar­ beiterbewegung ver­ wundert es nicht, daß von 35 Reichtagsabge­ ordneten der SPD im­ merhin vier Gastwirte waren. Der spatere SPD-Reichskanzler Friedrich Ebert - ei­ gentlich Sattlermeister - verdingte sich 1894 bis 1900 als Kneipier in Bremen. Wer wissen möchte, wie in dieser Zeit eine Arbeiterknei­ pe in etwa aussah, der sollte im Museum Indu­ striekultur (Außere

Sulzbacher Str. 62 in Nürnberg) die Tafel­ hauskneipe besuchen.

Kneipe und Natio­ nalsozialismus Die Kneipe als Kultur­ form kann wohl nicht dafür verantwortlich gemacht werden, daß auch die Karriere und der Aufstieg Hitlers in einer Kneipe begann: Hitler stieß im Septem­ ber 1919 im München „Sterneckerbräu“ (am Isartor) zur damals völ­ lig unbekannten Hin­ terzimmerpartei DAP. Mit seiner rhetorischen Begabung brachte es Hitler in den Bierkel­ lern Nähe Rosenhei­ mer- und Wienerplatz soweit, daß er schon 1920 den Münchener Kindl-Keller mit seinen 5.000 Plätzen füllen konnte, damals einer der bekanntesten Mün­ chener Polit-Hochbur­ gen. Vom benachbarten Bürgerbräukeller ging am 9. November 1923 der Marsch auf die Feldherrnhalle aus. Ab 1933 hielt Hitler an je­ dem 8. November Im Burgerbäukeller eine Versammlung ab, was den Schreiner Georg Elser 1939 dazu veran­ laßte, eine Säule mit Sprengstoff und Zeit­ zünder zu präparieren. Elsers Motiv lag in dem von ihm vorausgesehe­ nen Krieg, zudem war sein Bruder im KZ um­ gekommen. Hitler ver­ ließ mit seiner Füh­ rungsclique den Bür­ gerbräukeller I 2 Minu­ ten vor der Detonati­ on. Typisch für den Umgang mit der NSZeit nach dem Krieg war es im übrigen, daß zwar der Attentäter General Claus Graf von

Stauffenberg immer wieder als Beispiel hochgelobt wurde und wird, nicht jedoch El­ ser. Die Gründe: Elser war Schreiner und ein Einzeltäter, Stauffen­ berg dagegen konserva­ tiver Graf und hoher Offizier.

Die Braunhemden hiel­ ten sich im wesentli­ chen an Orten auf, die eher Kleinbürgertreffs waren. In Arbeiterknei­ pen konnten sie sich nicht verankern, viel­ leicht war der von ih­ nen gepflogene Stil der autoritären, theatrali­ schen und angeberi­ schen Repräsentation zu wenig alltagstauglich. Ab 1933 führte jedoch die Verseuchung mit Spitzeln dazu, daß der aktive Widerstand die Kneipen als ständigen Treffpunkt aufgab. In Fürth stürmte die SA am 3. Februar 1933 das als Kommunistenknei­ pe verschrieene Wirts­ haus „Zum goldenen Rößla“ in der Bergstra­ ße 3, besser bekannt unter dem Namen des Wirtes Blaufelder, wo­ bei es mehrere Schwerverletzte gab.

Kneipen in Fürth Das Gaststätten- und Brauwesen war in Fürth seit dem Mittelal­ ter eines der wichtig­ sten Gewerbe. „In Fürth, da gibt's viel Ju­ den und viel Wirt“, hieß es früher, aller­ dings auch: „Wer nichts ward, ward Wärt, und wer überhaupt nichts wärd, ward Wärt in Färdd“. (Weiter auf Seite 22)

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