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Burgervereinigung Sc. Michael _ Altstadtbladdla

Die Kneipe Festschrift zum 20jährigen Bestehen des Altstadtvereins: Nicht selten hört man die abschätzige Bewer­ tung, St. Michael sei das „Kneipenvierter. Wer jedoch der Kneipe ab­ wertend gegenüber­ steht, der hat keine Ah­ nung von Kulturge­ schichte.

Segmenten aufgebauten Institution menschli­ chen Zusammenlebens. In ihrer Gesamtheit ist sie für die Bürger si­ cherlich wichtiger als so manch andere kultu­ relle und kommunalpo­ litische Einrichtung die­ ser Stadt.

Wirtschaft über das Eß­ lokal bis zum Hotel mit Pferdestall, und schon damals waren die Knei­ pen den Herrschenden unbequem. Die römi­ schen Kaser belegten die Trattorien und Ta­ vernen mit einem Ver­ köstigungsverbot, sie sahen, dem Geschichts­ schreiber Dio Cassius zufolge, in ihnen uner­ wünschte Unruheher­ de.

Auch in Deutschland muß es schon im fränki­

A/te Anschrift om Prinzregent, Jakobinenstraße.

Die Kneipe war von je­ Die Anfänge her ein Punkt, an dem sich gesellschaftliche Die erste schriftlich er­ Neuerungen entwickel­ wähnte Gastwirtschaft ten. Auch wenn sich stand vor 5.500 Jahren der Alcstadtverein im in Babylon, sogar der der ersten Einzelfall gegen das Namen Überhandnehmen von Wirtin ist überliefert, Kneipen im Viertel St. sie hieß Kubaha. 3.000 Michael aussprach Jahre später, erst in („Kneipenstoppbebau­ Athen und dann im al­ ungsplan“). ändert das ten Rom, gab es schon nichts an der generel­ ein differenziertes len Wertschätzung die­ Gaststättenwesen von ser aus vielen kleinen der einfachen Schank­ 4

schen Reich ein ausge­ prägtes Kneipenwesen gegeben haben, erstma­ lig indirekt erwähnt im Jahre 794, als anläßlich eines geistlichen Kon­ zils in Frankfurt den Teilnehmern ausdrück­ lich verboten wurde, in eine „taberna“ einzu­ kehren. Das Wort Kneipe kommt nach ei­ ner Deutung aus dem Rotwelschen, und ihm haftete früher tatsäch­

lich etwas anrüchiges an: einer einschlägigen Diplomarbeit zufolge sei unter einer Kneipe im ursprünglichen Ver­ ständnis ein Lokal zu verstehen, „in welchem dem Wirt nicht zu trauen ist". Als be­ rühmtes Beispiel hier­ für läßt sich „Llandoger Trow" in Bristol (King Street) nennen, wo einst der einbeinige Wirt und Bandit Long John Silver seine See­ räuber zum Entern der „Hispania" sammelte („Die Schatzinsel") und wo Daniel Defoe vom Seefahrer Selkirk die Geschichte von Robin­ son Crusoe erfuhr. Ein weiteres Beispiel ist das „Wirtshaus im Spes­ sart", dessen Wirte die Gäste an Räuberban­ den verkaufte, wie uns der deutsche ,.Roman­ tike rjungling“ Wilhelm Hauff berichtet. Aber schon früh ent­ wickelte sich die Knei­ pe als Gesellungsform, als ein Ort. an dem man aus der Sphäre des Pri­ vaten heraustrat und ein gesellschaftliches Bewußtsein entwickel­ te (so würde es ein So­ ziologe formulieren). Einfacher ausgedruckt: In den Schenken wurde politisch diskutiert. So gingen von den Ge­ schlechter- und Zunft­ stuben des Mittelalters mehr als einmal eine Revolte aus.

Kneipen wurden daher zum Objekt obrigkeitli­ cher Beobachtung, Ein­ griffe und Regelungen, Für München ist die er­ ste Polizeistunde im Jahr 1310 verbürgt, sie war auf etwa 21 Uhr angesetzt, als Begrün­ dung wurde unter an­ derem „Ansammlung