Der "Stürmer" vor dem Schwurgericht

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Der "Stürmer" vor dem Schwurgericht, Nürnberg-Fürther Isr. Gemeindeblatt 1. Dezember 1929

Nach der Auffindung eines ermordeten Kindes im unterfränkischen Manau am 17. März 1929 inszenierte die NS-Zeitschrift "Stürmer" die Tat als Ritualmord. In mehreren Artikeln unter der Überschrift: "Der Blutmord in Manau" und einer Sondernummer im Mai 1934 als "Ritualmord-Nummer" hetzte das Blatt von Julius Streicher und seinem Mitarbeiter und Redakteur Karl Holz die Stimmung gegen Juden an. Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens strengte daraufhin einen Prozess gegen das Blatt an, der zwischen dem 29. Oktober und 9. November 1929 vor dem Schwurgericht in Nürnberg stattfand.

Der Prozess geriet ziemlich aufwändig. Allein vier Schachverständige wurden dazu von den Parteien aufgeboten, um den Sachverhalt "Beschimpfung der jüdischen Religionsgemeinschaft" aufzuklären:

  • Pastor und Hochschulprofessor Windfuhr, ein renommierter Experte für rabbinische und mittelalterliche jüdische Geschichte. Fachleute sahen ihn als einen der besten Wissenschaftler zum Schriftgut des Talmud an.
  • Prof. Dr. Guttmann Rabbiner und Religionsphilosoph aus Breslau, Dozent an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums.
  • Prof. Dr. Göttsberger München, Ordinarius für alttestamentliche Einleitung und Exegese, sowie für die biblisch-orientalischen Sprachen an der Universität München.
  • Bischoff, Leipzig; ein Orientalist, Germanist, Religionsforscher, Theologe, Autor und Übersetzer, der in den 1920er Jahren er wiederholt in Gerichtsverfahren prominenter Antisemiten als Gutachter an deren Seite auftrat.

Windfuhr und Guttmann wurden als befangen abgelehnt und mit Unterstützung von E. Bischoff[1], dem Mitarbeiter des berüchtigten Hammerverlags in Leipzig, hofften die Angeklagten sich gerichtlich durchsetzen zu können. Im Gerichtsverfahren griffen Streicher und Holz „in ihrer Hemmungslosigkeit den Staatsanwalt in unerhörter Weise an und stellten die Langmut des Gerichtsvorsitzenden auf manch harte Probe“.[2] Karl Holz stellte die Minderwertigkeit der jüdischen Rasse dar, „die er in bezug auf Kulturfähigkeit noch unter den Neger stelle.“ und schließlich folgerte, dass aus dem schlechten Blut der jüdischen Rasse eine Neigung zu „Blutmorden“ herrühre.[3] "Werden nichtjüdische Kinder um die Osterzeit vermißt, dann liegt nach seiner Ansicht (= Karl Holz) mit Sicherheit ein jüdischer Blutmord vor."[4] Im Folgenden wollten Streicher und Holz nicht die jüdische Religionsgemeinschaft, sondern die jüdische Rasse verantwortlich machen. Das Gericht hatte aber für derartige Rabulistik kein Verständnis.

Der Staatsanwalt erreichte schließlich dass auch Dr. Bischoff als Gutachter abgelehnt wurde, sodass lediglich Prof. Dr. Göttsberger die ganzen Ablehnungsanträge überstand. Ihm gelang es ungenaue Übersetzungen, Fehlinterpretationen, Aussagen die aus dem Zusammenhang gerissen waren und Fälschungen aus Talmud und Schulchan Aruch[5] aufzudecken und damit die Beklagten zu belangen.

Urteilsspruch im "Stürmer-Prozess"

Der Staatsanwalt forderte aufgrund der Sachlage gegen Streicher acht Monate und gegen Holz zehn Monate Gefängnis. Die Verteidigung verlangte Freispruch. Der Staatsanwalt schloss aus den ständigen Wiederholungen der Angeklagten ein abgrundtiefen Hass und deren Angst, dass der Agitationsstoff ausgehen könnte. Bedauerlich sei, dass selbst der Verteidiger trotz der Aussagen des Sachverständigen "schon wieder den Ritualmord als klar erwiesen hingestellt" hat.[6]
Aufgrund Gerichtsbeschluss wurde

  • Streicher wegen eines Vergehens wider die Religion zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten,
  • Holz wegen eines fortgesetzten Vergehens gegen die Religion zu einer Gefängnisstrafe von drei Monaten und 15 Tagen verurteilt. Der "Stürmer" hatte sich mit seiner antisemitischen Hetze des Religionsvergehens nach $ 166 des Reichsstrafgesetzbuches strafbar gemacht.[7]

Siehe auch

Weblinks

  • Leipziger Jüdische Wochenschau vom 5. April 1929 online verfügbar
  • Dr. Ch. Kolbet: "Siebzig Jahre Ritualmordlegende von Manau" – HaGalil 30. April 1999
  • Anschuldigungen an Justin Fränkel (BLLV)

Einzelnachweise

  1. "Er verfasste ein Gutachten, das die abstrusen Behauptungen des "Stürmers" zu bekräftigen suchte." Wolfgang Benz Hrsg.: "Handbuch des Antisemitismus - Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart", 2015, Band 8, S. 45
  2. Der "Stürmer" vor dem Schwurgericht, Nürnberg-Fürther Isr. Gemeindeblatt 1. Dezember 1929, S. 59
  3. Der "Stürmer" vor dem Schwurgericht, Nürnberg-Fürther Isr. Gemeindeblatt 1. Dezember 1929, S. 59
  4. Der "Stürmer" vor dem Schwurgericht, S. 60
  5. Als Schulchan Aruch (hebräisch שולחן ערוך „gedeckter Tisch“) wird die im 16. Jahrhundert von Josef Karo verfasste und im Folgenden von mehreren Rabbinergenerationen überarbeitete autoritative Zusammenfassung religiöser Vorschriften (Halachot) des Judentums bezeichnet. Schulchan Aruch, Erstausgabe Venedig 1565
  6. Der "Stürmer" vor dem Schwurgericht, S. 62
  7. Tilman Tarach: "Teuflische Allmacht", 2022, Seite 192

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