CURT_LOCKED IN - Marian Wild - Interview mit Klaus Haas
1. Bei der letzten ortung 11 in Schwabach warst du mit deinem QuantenRausch Projekt und dem „Institut für forschende Kunst in virtuellen Raum“ vertreten, das dazu dient, herauszufinden inwieweit die Malerei mit Mitteln der virtuellen Realität weitergedacht werden kann. Dazu habe ich zwei Fragen: Was sind deine bisherigen Erkenntnisse, und könnte uns deiner Meinung nach der virtuelle Raum helfen aus dieser Quarantäne zu entkommen? Also Grundsätzlich ist auch meines Erachtens, die virtuelle Realität noch in den Kinderschuhen, die technischen Möglichkeiten bei weiten noch nicht erschöpft. „Viele sehen Platons Höhlengleichnis »Republik« aus dem Jahr 300 v.Chr. als den Grundstein für das, was wir heute Virtual Reality nennen. Die ethische und philosophische Bedeutung der VR ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft“. Die Gründung des „Instituts für forschende Kunst im virtuellen Raum“ 2016 mit Fabian Baumgärtner, hat genau dieses Anliegen die jetzigen Möglichkeiten auszuloten und auch technisch zu erweitern und zu experimentieren und zu sensibilisieren. Eigentlich leben wir alle in einer „Quarantäne“ ohne es uns völlig bewußt zu machen. Isolation kann Schutz darstellen, aber auch positive Impulse von außen fern halten. Es ist inzwischen erwiesen dass wir in unserer eigenen Wahrnehmung gefangen sind. Diese Wahrnehmung ist abhängig von unserem Entwicklungsstand in der Evolution, viele Wahrnehmungsformen sind bei anderen Lebensformen auf unserem Planeten noch viel ausgeprägter als bei uns, solcher Erkenntnisse sind durch unsere Technologien, aber auch in früheren Kulturen auf anderen Wegen, erst langsam wieder nachvollziehbar. Wir erachten verschiedene Betrachtungsmöglichkeiten, Infrarot oder Röntgenstrahlung oder den Film, inzwischen als selbstverständlich, doch der virtuelle Raum wird oft als etwas irreales künstliches interpretiert, doch ist er das wirklich? Ist es nicht eher so, das es uns eine weitere Sichtweise eröffnet, die uns noch mehr Spielraum schenkt und ein weiteres Spektrum neuer Möglichkeiten zulässt. Diese Möglichkeiten sind jetzt schon immens, auch was die Umsetzung in die „stoffliche Welt“ zulässt, sei es in Kunst, Malerei, Architektur, Design, Film, Wissenschaft, 3D Druck oder auch in der Musik. Aber dazu gehört ein offenes, reflektierendes Fühlen und Denken. Je mehr der einzelne Mensch sich von sich selbst entfremdet desto eingeschränkter und toxischer wird unser Denken und damit auch seine und unser aller Umwelt. Auch die „Natur“ und ihre Prozesse zeigen uns viele Wege der Existenz, aber wir sind Natur, alles ist Natur, ich glaube nicht das wir in unseren Lernprozessen als Menschen dies außer acht lassen sollten, denn wir sind vollständig aus ihr entstanden und haben argumentativ keine Chance zu behaupten dass wir es nicht wären. Dieser Lernprozess den wir gerade schmerzlich beschreiten, nämlich in unserer Umwelt uns selbst gerade in Quarantäne zu stellen, wird durch unser Denken und Verhalten immer offensichtlicher. Auch aktuelle Tendenzen und Vorkommnisse zeigen uns nur auf das wir uns isolieren, diese Isolation zu durchbrechen neu zu formieren und in eine schöpferischen Kontext zu stellen, der uns wieder in allen Bereichen so verbindet, mit all unseren Möglichkeiten, ohne dabei die Grundlagen der ursprünglichen Daseinsebenen zu ignorieren und die Lebensweise so zu korrigieren das die Idee, die Evolution und das kreativ schöpferische wieder in den Vordergrund gestellt wird. Den das scheinbare „entfliehen“ in eine andere Welt, kann uns auch bewußt machen das die Schöpfung unermesslich ist. 2. Schon vor deiner Idee der virtuellen Malerei waren viele deiner Arbeiten stets in Verbindung mit dem Ort gedacht und ausgeführt. Du veränderst Raumkonfigurationen, störst die Perspektiven oder hebst Bereiche hervor. Was fehlt der heutigen Architektur und was kann die Kunst ihr geben? Die Architektur war schon immer verbunden mit Kunst, Musik, Literatur und Philosophie und hatte gemeinsam mit diesen die Grundlagen geschaffen ganze Zeitepochen zu definieren und zu manifestieren. Alle archäologischen und geschichtlichen Geschehnissen in der Menschheitsgeschichte sind unabdingbar mit Architektur verbunden positiv wie negativ. Diese Grundlagen und Zusammenhänge wieder den heutigen Menschen bewußt zu machen, neu zu definieren, auch zu erweitern ist ein Anliegen das mir als Künstler sehr am Herzen liegt. Die heutige Architektur wird den meisten Fällen der reinen Wirtschaftlichkeit und damit oft auch entmenschlichenden Dogmen unterstellt, die meisten Architekten leiden deshalb darunter, durch persönlichen Gespräche mit Architekten immer wieder bestätigt. Viele Architekten kämpfen in unendlichen Verwaltungs- sowie Finanzierungszwängen gegen diese kastrierenden Einschränkungen wie gegen eine undurchdringliche Wand, nur in der Luxus- und Prestigearchitektur finden wenige Architekten zumindest konkrete Verwirklichungen. Das finde ich sollte sich gravierend ändern, uns allen zuliebe auch und zwar ausdrücklich unserem konkreten Kulturanspruch gegenüber und damit der eigenen alttäglichen Umwelt die es uns wert sein sollte und muß. Die Erweiterung durch Kunst, Musik, Literatur und Philosophie in der Architektur sollten wieder gemeinsam mit Architekten eine schöpferische Gemeinschaft bilden die sich auch in den Wirtschaft- und Verwaltungseinstellungen und Bauherren verändern und gravierend niederschlagen sollte. Gerade in an Randzonen der Städte, Industriegebiete, Innenstädten und Fußgängerzonen der Nachkriegszeit des zweiten Weltkrieges ist eine „architektonische Wüste“ entstanden die immer noch weiter anhält. Gute Architektur ist ein unbezahlbares Gut von dem danach noch Generationen profitieren, deshalb sollte unser Denken und Handeln hier weiter neu definiert werden, die moderne Architektur hat heute unglaubliche technische Möglichkeiten wie die architektonische Bionik, ökologische Architektur und organische Architektur beweist!
Ich wage zu behaupten diese wird bei weitem noch nicht ausreichend genutzt und ich finde das Kunst hier einen wesentlichen Anteil leisten kann, um festgefahrene Dogmen aufzubrechen und durch Symbiose, aber auch durch direkte oder raffinierte Eingriffe in die bestehenden Architektur einen Kontext zu schaffen der Fragen aufstellt, aber auch beantwortet. Insofern konzentriere ich mich als Künstler nicht alleine auf die Erkundung des realen Raumes. Der persönliche Dialog mit dem Menschen ist mir genauso wichtig. Als ein Performer agiere ich auch an der Schnittstelle zwischen virtuellem Werk und Rezipienten. Inmitten dieser Installationen entsteht dann etwas, das sich mit Josef Beuys‘ Begriff der „Sozialen Plastik“ am besten umschreiben lässt. Ich arbeite dabei nicht unbedingt gegen die bestehende Architektur, sondern nehme die „Vorgaben“ auf und verändere diese mit meinen Elementen so das man es vielleicht als „assimiliert“ bezeichnen kann. Im Vordergrund wirkt es dann anscheinend „passend“ doch bei genaueren Hinsehen ist es dann seltsam oder „heimlich befremdlich“ die Kunst wird hier nicht als Prestigeobjekt auf öffentlichen Plätzen aufgestellt um Eindruck zu schaffen oder als wichtig zu erscheinen. Sondern wird in die Architektur innen wie aussen viel mehr eingepflanzt, im ersten Blick fast unauffällig wie ein Insekt mit Tarntracht auch Kriypsis genannt. Diese Somatolyse macht die Kunst erst einmal scheinbar unsichtbar ja fast selbstverständlich integriert, dies schafft eine subversive Akzeptanz beim Betrachter die sich bei genauerer Betachtung aber gravierend verändern kann, wie eine Stabheuschrecke die sich plötzlich doch bewegt. Diese Art der „Tarnung“ finde ich sehr bemerkenswert, so kann Kunst fast ungehindert in die Architektur und öffentlichen Plätzen eindringen und sich ausbreiten, ohne gleich heroisch oder monumental oder separiert zu sein. Dies Auffassung finde ich wesentlich zeitgemässer und spricht eindeutig gegen die „denkmalorientierte heroische Präsentation“ von Kunst. Diese „Strategie“ könnte dann auch der Weg sein die Kunst neu definiert wieder in die Architektur einzupflanzen und einzuplanen und uns wieder eine sinnlichere Umwelt zu schaffen, die uns die Freude am entdecken schenkt.
3. Du hast in der Klasse von Professor Georg Karl Pfahler an der Akademie in Nürnberg studiert, wurdest dort auch Meisterschüler und fühlst dich offenbar dessen „Hard Edge“-Stil verbunden. Wie kann man sich die Diskussionen in der Klasse Pfahler vorstellen und wo schreibst du seine Kunstauffassung weiter? Die Auseinandersetzung mit dem Werk eines Professors geht Hand in Hand mit den Mit-Studierenden. Die Studenten sollten bei einer guten Klasse offen für unterschiedliche Meinungen sein. Die grundsätzliche Offenheit ist die beste Methode, um Epigonentum zu verhindern. Konträre Äußerungen wurden von Georg Karl Pfahler bewusst innerhalb der Klasse provoziert. Auch in seinem eigenen Schaffen verfuhr Pfahler nicht vollkommen orthodox wie andere „Konkrete“. Man betrachte hierzu nur seine Arbeiten im Bereich des „Hard Edge“ und seine „Farbraumobjekte“ 1969/70 auf der Biennale in Venedig. Das anarchische „Brechen“ hat mich in meiner Kunst inspiriert und vorangetrieben. Nur in gewisser Weise führe ich Pfahlers Kunstauffassung weiter, mich haben auch damals Künstler*innen aus der klassischen Moderne bis heute wie Marcel Duchamp, Meret Oppenheim, Sonja und Robert Delaunay, Kurt Schwitters mit seinem MERZbau und Oskar Schlemmer das Lackkabinett sehr fasziniert, sowie Piet Mondrian oder die Künstlergruppe Zero. Dies ging eigentlich mit meinem eigenen Autodidakten Studium und meinen Auseinandersetzungen weiter z.B. den Künstler*innen Nam June Paik, Frank Stella, Donald Judd, Daniel Buren, Dan Flavin, Jenny Holzer, Peter Fischli und David Weiss, Angela Bulloch, Peter Weibel, Jason Rhoades, Martin Kippenberger, Franz Ackermann, Heimo Zobernig, liegen mir am Herzen um nur einige der bekannteren zu nennen. So war die Auseinandersetzung mit der Abstraktion bei mir nie stilorientiert, sondern kam eher einer forschenden Strategie gleich. Die Lust am freien Experiment bildete dabei eine wesentliche Konstante. Als Student habe ich mich bald von festgelegten Haltungen in der Kunst distanziert. Am Ende meines Studiums bin ich nicht immer auf Verständnis gestoßen, was die Ergebnisse meines konzeptuellen Schaffens angeht. 4. Du reflektierst intensiv die Entwicklung der zeitgenössischen Kunst. Was ist deine Einschätzung in welche Richtung wir uns in den nächsten Schritten, auch nach der Krise, bewegen werden? Vorhersagen haben immer etwas festgelegtes, doch sicher sollte sein das die jetzigen Gesellschaftsformen ein Reset benötigen, das sich sicher auch mit der Kunst transportieren- reflektieren und transformieren läßt. Die Kunst sollte immer frei und assoziativ bleiben, doch kann Kunst viele Elemente als Transportmittel integrieren und als Ausdrucksform in Auseinandersetzung und Kommunikation bringen. Diese Aufgabe kann Kunst leisten, eine Plattform zu bieten für das freie Denken um das kulturelle Bewusstsein der Menschen zu erweitern zu sensibilisieren. Eine weltweite Lebensgemeinschaft für alle Menschen, um aus den „Fallen“ unseres festgefahrenen Dogmen und Handlungen eine neue bessere Perspektive- und Bildung zu schaffen wäre eine wichtige Möglichkeit. Meine Anliegen gehen schon in diese Richtung mit dem „Institut für forschende Kunst in virtuellen Raum“ auch habe ich weitere Projekte in Arbeit, die genau auf diese gesellschaftlichen Aspekte der Erweiterung unseres Denkens und Fühlens hinzielen. Eine solche sensibilisierende Haltung ist meines Erachtens dringend notwendig in einer Gesellschaft wo das „reißerische“ die Menschen „erblindet“ und Ihnen die Möglichkeit der inneren Ruhe und reflektierenden Haltung und Denkens beraubt. Gerade jetzt wäre es eine Möglichkeit diese Wege mit der Kunst zu beschreiten und auch nach der Krise diese Bewegungen einzuleiten. Sicher auch eine „neoromantische Bewegung“ aber doch wieder eine progressive in Bezugnahme zur heutigen Zeit. Dieses kultivierte undogmatische sensibilisierte, erfinderische Denken und Fühlen in der Kunst, sollten wir besser und progressiver in die Gessellschaft übertragen und ist sicher eines der Aufgaben und Rezepte in der wir uns in der Krise und aus der Krise bewegen sollten und könnten. Dr. Marian Wild - Artist Meisterschüler Klaus Haas