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Altstadtverein Fürth

42/08

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Mir gegenüber, im kleinsten Haus Fürths hinter der Sand­ steinsäule, wohnt eine allein­ stehende alte Frau. Während der Kirchweih kam ein orts­ kundiges Ehepaar zu mir, de-

Waagplatz vor der Baumbe­ pflanzung Repro AB 20/1985

nen die alte Frau soeben auf­ gefallen war. Sie erkundigten sich, ob sich jemand um sie kümmere, und wie sie ihr ei­ nen Gefallen machen könnten. Für diese Aussteigen aus der „das geht mich nichts an Men­ talität“ hätte ich die beiden umarmen können. Ich konn­ te das Ehepaar davon überzeu­ gen, dass die Oma nicht über­ sehen oder gar vergessen wird - nicht hier am Waagplatz. * Leonie Böhnel, Töpferin

Kein Märchen

Die Waagplatzlinde

Der heutige Schattenspender (Foto: HR)

Wer meint, Märchen gehörten der Vergangenheit an, täuscht sich ganz erheblich. Auch die Gegenwart erlebt solche, nur in einer grammatikalisch gesehen anderen Zeitform. Dem Prä­ senz. Heinzelmännchen, böse Geister, gute Feen, Prinzen, Schlösser und viel Musik (Ge­ schehen im Dunkeln) gibt es heute noch. Die moderne bzw. aktu­ elle Form des Märchens lau­ tet: Es steht eine Linde auf dem Waagplatz, stämmig, aus­ triebsfreudig, in einem Holz­ korsett, darunter die sinnige Texttafel „kein Hundeklo“ und wenn sich jeder daran hält, steht die Linde bis an ihr Lebensende dort.

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Da sagt natürlich jetzt je­ der: „Das ist doch kein Mär­ chen“. Richtig! Märchen be­ ginnen mit - Es war einmal -, und deswegen die alte Fassung. Die ist nämlich gerechtfertigt, da es wieder einmal lange dau­ erte, seit es die „wahre“ Linde auf dem Waagplatz gibt. Es war einmal eine Vereini­ gung, die konnte länger nicht mit ansehen, wie die Ver­ antwortlichen aus der groß­ en Burg, die gleich nebenan steht, erhaltenswerte Bausubs­ tanz mit Füßen trat und durch Kahlschlag wegsanierte. Da ha­ ben sie sich für den Waagplatz, auch einen gefährdeten Platz, etwas einfallen lassen: Sie kauf­ ten einen alten Schuppen, re­ novierten ihn, brachten Hand­ werker und beauftragten einen Bildhauer, mit dem Geld einer guten Fee den Platz neu zu ge­ stalten. Der haute aus Muschel­ kalk einen Brunnen. Auch eine Linde sollte da zum Verweilen der Passanten beitragen.

waren, musste man feststel­ len, dass der lange, wenig ver­ zweigte Baum gar keine Lin­ de war. Eine kräftige Linde aus den Restbeständen des zu be­ grünenden Bahnhofsplatzes machte die biologisch ein­ zigartige Metamorphose mit, die heute bekannt ist: Sie ver­ wandelte sich in ein mickriges Ahornbäumchen. Die Vorsitzende der Verei­ nigung liebte dieses „gackliche Ding“. Sie nannte es bei allen Ansprachen, die sie hielt, im­ mer ihr „Ahörnchen“, das die Vereinigung mittlerweile sehr lieb gewonnen habe. Auch die Hunde und ihre Halter nah­ men den neuen „Kommunika­ tionsplatz“ gerne an. Der Herr von der Burg und seine Frak­ tionsvorsitzenden haben aber ihr Wort nicht vergessen: “Da muss eine Linde her!“ Das ha­ ben sie damals bei der Einwei­ hungsfeier alle geschworen. Dann verging eine lange Zeit.

„Mein Ahörnchen“

Plötzlich aber stand Mitte April des Jahres 1986 eine Lin­ de auf dem Waagplatz - zum Erstaunen der Ver­ einigung, der Anlie­ ger und der Hundehalter.

Die Wandlung

Einzelne Herren aus der Burg, die aber noch viele andere Amtssitze hatten, versprachen, eine große Linde beizusteuern. Am Tag der Einweihung des Waagplatzensembles, an dem auch viele Burgvasal­ len mit ihrem Herrn zugegen

Große Freude kehrte ein bei allen: In der Burgverwaltung war man zufrieden, die Ver­ einigung hatte, was sie wollte und die letztgenannten führ­ ten ihre Vierbeiner nie mehr an die neue Linde. Von da an ge­ dieh sie prächtig und spendete Schatten für alle, die sich dar­ unter trafen und diskutierten. Motorräder und Autos standen weit weg - unten auf den Park­ plätzen am Heiligenberg. Sie fühlte sich wohl, suchte mit ihren Wurzeln stets den Boden, der fruchtbar war, nie aber den, der laut Verord­ nung verboten und standort­ widrig eingetragen war. Im Herbst, wenn die Anlieger die fallenden Blätter zusammen­ kehrten, freute sie sich bereits jedes Mal auf das lebhafte Trei­ ben im nächsten Sommer. Und wenn sie fleißig gegos­ sen wird, dann lebt sie noch viele hundert Jahre! Die Bürgervereinigung be­ dankt sich bei allen „guten Geistern“ der Burgverwaltung! Wer letztendlich den Anstoß zur guten Wende gab, weiß man bis zum heutigen Tag nicht. Ob die Linde lieber auf dem Bahnhofsplatz stün­ de oder auf dem Waagplatz - man frage sie selbst! 2Vi986