Kaschierender Schiefer Schon im 19 Jahrhundert gab es „Fassadenhaie“, Leute, die den Hausbesitzern klar machen konnten, daß ihre Hausfassaden modernisiert werden müß ten. Oft liefen sie damit offene Türen ein, gerade mit dem ländlich wirkenden Fachwerk wollten sich viele im städtisch gewordenen Fürth nicht mehr identifi zieren. Der Schieferdeckermeister Philipp Haubrich kam 1854 aus dem Taunus und sein Kollege Wiegand Kraus 1866 aus Oberfranken nach Fürth Sehr viele Häuserfronten haben sie. manchmal sehr liebevoll gemustert, mit Schiefer überdeckt. In der Gustav straße ist ein markantes Beispiel das Haus 48/50.
Gründerzeit und Jugendstil Der deutlichste Eingriff in die gewachsene Struktur der Gustavstraße findet sich im unteren Teil mit der Hausnummer 12/14 und mit der ganzen, erst damals entstandenen Baldstraße. Hier stand bis 1886 das größte Haus von Fürth, das „Lange Haus" aus dem Jahr 1657, eine Mietskaserne mit 36 Wohnungen und ca. 300 Bewohnern, erbaut nach den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges. Auf dem Boenerstich mit der Ansicht von Norden her kann man es gut erkennen. Nach dem Abriß kamen an seine Stelle Häuser in historischer Bauweise, mächtige vielge schossige Gebäude, wie sie für das nun wirklich aufblühende Fürth typisch sind. Hinterm Rathaus, in der Südstadt und natürlich, freilich noch prächtiger, in der Hornschupromenade und Königswarterstraße gibt es viele davon. Oft, wie in Nr. 14, sind es kombi nierte Wohn- und Gewerbehäuser, mit einer Durch fahrt in den Hof, wo die vielen Produktionsstätten zu Hause waren Hof und Straße waren meist mit einer Schienenanlage verbunden, um die Rohmaterialien besser hinein- und die fertigen Produkte herauszu schaffen (Nr 16). Eine ganz andere Architektur wei sen diese Häuser auf. Es ist nicht der Baustil des Vier tels um St. Michael, aber, das ist ja das reizvollean der Gustavstraße, auch der Historismus (außerdem noch Nr. 4, 9, 38) ist hier vertreten. Und ebenso das, was danach kommt, ein bißchen Jugenstil (Nr 36). freilich nur als Fassadendekor, und überhaupt das Bemühen, sowohl das Protzige des Historismus als auch das Triste der farblosen Sand stein- und Schieferarchitektur zu überwinden. Erst zu Beginn unseres Jahrhunderts werden Häuser in Fürth verputzt und danach angestrichen, - die erste Farbe im Stadtbild außer dem Rot oder Braun der Fachwerkhölzer Wo Putz angebracht wird, hält auch Stuck. So bringt die Fassadenrenovierung am Haus Nr. 54 mit ihren Engelreliefs Rokokoambiente in das Haus der Fabrikanlagen und Schornsteine. Und noch etwas Neues bringt das Industriezeitalter: das Gußeisen Auffallend oft ist es in der Gustav straße vertreten, wo die kleinen Geschäfte mit präch tigen Eisenverzierungen um Ladentur und Schau fenster auf sich aufmerksam machen wollten. Auf den 300 Metern der Gustavstraßefindet man fast alle wichtigen Kapitel der Fürther Baugeschichte, nicht nacheinander aufgereiht, sondern durcheinan der, harmonisch vermischt Nie wurde an die Gustav straße eine städteplanerische Hand gelegt, und was heute positiv geschieht, soll auch nur den Bestand reizvoller Inhomogenität erhalten. Die Gustavstraße ist nicht aus einem Guß wie die Marienstraße oder die Kornstraße, sie ist in ihrer ganzen Variationsbreite ein Kaleidoskop Fürther Orts- und Baugeschichte, ein Zeugnis der verlorenen Mitte. Sie sähe ganz anders aus, wenn die beiden Flüsse nicht wären.. 12
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