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Altstadtverein Fürth ________________

wurden ab 1882 diskriminie­ rende Gesetze gegen Juden er­ lassen Vor 1918 oder zumindest vor 1912 deutete wenig darauf hin, daß es nach dem Ersten Welt­ krieg zu dieser in ihrer Radikali­ tät singulären Form des Antise­ mitismus kommen konnte. Die gesellschaftlichen Gradmesser lassen bis dahin und im euro­ päischen Vergleich keine spezi­ fische Ausformung des deut­ schen Antisemitismus erken­ nen, jedenfalls keinen direkten Weg zu einer eliminatorischen Ausformung. Die Spur zu Hitlers willigen Voll­ streckern beginnt meiner Über­ zeugung nach mit dem Ent­ schluß zum Ersten Weltkrieg, der spätestens im Jahr 1912 erfolgte. Die Reichsleitung gab damals vor, den Krieg propa­ gandistisch als Rassenkrieg ge­ gen Slawen und Romanen vor­ zubereiten, was sich nach 1918 fatal nach innen auswirkte.

Sonderrolle von Fürth? Unser Fürth galt bis zum Ersten Weltkrieg als ein Ort der bei­ spielhaften Toleranz gegenüber Juden, wenngleich mitunter der Verdacht geäußert wird, diese Einschätzung sei eine nachträg­ liche Verklärung. Auch Jakob Wassermann belegt nämlich, daß es mit der Toleranz in Fürth nicht so weit her gewesen sein kann: „Die meinem Judentum geltenden Anfeindungen, die ich in der Kindheit und ersten Jugend erfuhr, gingen mir, wie mich dünkt, nicht besonderes nahe, da ich herausfühlte, daß sie weniger die Person als die [jüdische] Gemeinschaft trafen. Ein höhnischer Zuruf von Gas­ senjungen, ein giftiger Blick, abschätzige Miene, gewisse wiederkehrende Verächtlich­ keit, das was alltäglich.“ Zwar gibt es viele Einzelbeispie­ le des guten Verhältnisses auf der Ebene der gesellschaftlich bestimmenden Schichten, ver­

einzelt auch Beispiele für die breite Bevölkerung etwa in Form einer positiven Abstim­ mungen über den gemischten Religionsunterricht 1869, aber auch hier ist Vorsicht geboten. Einerseits stammen die positi­ ven Beispiele in Fürth bis auf wenige Ausnahmen aus der Zeit vor dem allgemeinen Wieder­ aufleben des deutschen Antise­ mitismus ab etwa 1879. Wei­ terhin ließ sich auch andernorts, wie zum Beispiel in der Umge­ bung des Kaisers, eine wider­ sprüchliche Situation ausma­ chen: Der Kaiser empfing zahl­ reichejüdische Bürger und hör­ te auch auf ihren Rat, genannt seien Albert Ballin (Generaldi­ rektor der Hapag), Emil und Walter Rathenau (Emil R.: Ge­ neraldirektor der AEG; Walter R.: Vorstandsmitglied der AEG, Geschäftsinhaber der Berliner Handelsgesellschaft), die Ban­ kiers Max Warburg, A. Salomonsohn und Carl Fürstenberg sowie den Industriellen Fritz von Friedländer-Fuld. Meist waren die jüdischen Familien zum Christentum übergetreten, be­ vor sie durch Nobilitierung und Verleihung von Ordensaus­ zeichnungen in den Kreis der „besseren" Gesellschaft aufge­ nommen wurden, aber es gab auch Ausnahmen wie der Ban­ kier Gerson v. Bleichröder, der bei seinem jüdischen Glauben blieb und dennoch geadelt wur­ de. Dies alles konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die adlige Gesellschaft, Mini­ ster, Bürokraten und Offiziere den Juden die Gleichberechti­ gung versagten und in diesen Kreisen ein latenter Antisemitis­ mus vorherrschte, gerade auch seitens des Kaisers und seiner engsten Umgebung sind antise­ mitische Äußerungen und Ein­ stellungen überliefert. In breiten mittelständischen und bäuerli­ chen Schichten, die ihre soziale Stellung durch die fortschrei­ tende Industrialisierung bedroht sahen, machte sich dagegen

ein unverhüllter Antisemitismus breit. Es bleibt meiner Meinung nach eine vorerst unbeantwortete Frage, ob und inwiefern dies in Fürth Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts prinzipiell an­ ders gewesen ist. Ich tendiere bei der Antwort eher zu einem Nein, vor allem wenn man sich die weitere Entwicklung vor Au­ gen hält.

Der Rat des Dichters 1921 schrieb Jakob Wasser­ mann sein oben mehrfach zi­ tiertes Buch „Mein Weg als Deutscher und Jude“. Zwei Jahre später, am 18. Septem­ ber 1923, gründete sich eine Ortsgruppe der NSDAP in Fürth, die schon im November 170 Mitglieder aufweisen konnte. Die NSDAP hatte in Fürth immer - verglichen mit Bayern und dem Deutschen Reich - über­ durchschnittlich hohe Wahler­ gebnisse. Auch in Fürth brannte 1938 die Synagoge und nie­ mand protestierte gegen den Abtransport der Mitbürger. Jakob Wassermann beschreibt in den letzten Absätzen von „Mein Weg als Deutscher und Jude“ seine Gespräche über die nach 1918 losbrechende Anti­ semitismuswelle: „... wenn ich mit meiner Qual, mit meiner Bit­ terkeit, mit meinem unentwirr­ baren Problem, mit Hinweis, Frage, Sorge zu einem von ih­ nen komme... so faßt er doch nicht die ganze Tragweite des Unglücks und verschlimmert meine Ratlosigkeit nur durch Argumente, die kein Gewicht mehr für mich haben. Er meint mich trösten zu können, wenn er von der Ebbe- und Flutbewe­ gung geistiger Seuchen spricht: er übersieht, daß ich mich dar­ in, gerade darin als Arzt be­ trachte und die Erfolglosigkeit meiner Bemühung einer Unzu­ länglichkeit in mir zuschreiben muß. Er meint, daß die Wut der Lärmmacher und Schaum­

schläger nicht beweislastig sei für die Gemütsverfassung und sittliche Richtung der Nation; er übersieht aber die Zahl der Op­ fer; er übersieht, daß es müßig ist, wenn ich mich als Gefange­ ner in einem Raum voll Kohlenmonoxydgas befinde, mich da­ mit zu beruhigen, daß morgen das Fenster geöffnet werden. Endlich fehlt ihm... das Ver­ ständnis dafür, daß ich in aller­ letzter Linie mehr für die Deut­ schen als für die Juden leide... Was soll geschehen? Was soll Deutschland tun? Wenn ich einen Fuhrmann sehe, der sein abgetriebenes Roß mit der Peitsche dermaßen mißhandelt, daß die Adern des Tieres springen und die Nerven zittern, und es fragt mich einer von den untätig, obschon mitlei­ dig Herumstehenden: was soll geschehen? so sage ich ihm: reißt dem Wüterich vor allem die Peitsche aus der Hand... Mehr kann Deutschland nach meiner Ansicht gewiß nicht tun. Aber es wäre viel. Es wäre ge­ nug". Alexander Mayer

Meine Literaturempfehlungen zum Einstieg in das Thema: Wolfgang Benz/Werner Bergmann: Vorurteil und Völkermord. Entwick­ lungslinien des Antisemitismus. Herder Spektrum.

Imanuel Geiss: Geschichte des Rassis­ mus. Edition Suhrkamp.

Daniel Jonah Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deut­ sche und der Holocaust. Siedler Verlag. Fritz Fischer: Hitler war kein Betriebs­ unfall. Verlag C.H. Beck. Ian Kershaw: Hitler 1889 - 1936. Deutsche Verlags Anstalt. Jakob Wassermann: Mein Weg als Deutscher und Jude. Dtv.

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