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Akstadtverein Fürth ________

Caen. Das Regiment rückte durch die Ruinen der zerstörten Stadt Caen vor. Caen war eine schöne mittelalterliche Stadt gewesen. Alles, was ich von ihr sah, waren Trümmerberge. Im Verlauf der Kampfhandlun­ gen wurden viele Gefangene gemacht. Als Panzereinheit konnten wir uns nicht lange mit dem Bewachen von Gefange­ nen aufhalten. Meistens sagte ich ihnen einfach auf Deutsch, sie sollten weiter hinter die Front marschieren. Irgendwel­ che Infanterieeinheiten gab es dort immer, die sich um sie kümmerten Mitte August 1944 war ein gro­ ßer Teil der deutschen Truppen von Amerikanern, Engländern, Kanadiern und Polen im Kessel von Faiaise umzingelt. Einheiten der Waffen-SS, insbesondere die 12 Panzerdivision »Hitlerju­ gend". Während eines Tages kamen Gefangene an, die weiter nach hinten gebracht werden sollten. Es waren etwa 40 Mann, mehr­ heitlich von der SS-Panzerdivi­ sion „Hitlerjugend“, alle sehr jung, zwischen 18 und 19 Jah­ ren alt. Ich sagte dem höchst­ rangigen anwesenden Offizier der Waffen-SS, daß ich jeden Gefangenen verhören würde und er auf mein Zeichen jeweils einen Soldaten zu mir schicken sollte. Meine übliche Routine war es nach den Personalien zu fragen. Ich hatte keine Zeit für ausführ­ liche Fragen. Dafür waren die Geheimdiensteinheiten in der Etappe zuständig. Als nun wieder ein Soldat zu mir vortrat, fragte ich ihn also nach seinem Namen und seiner Ein­ heit. Er antwortete: „Panzerdivi­ sion Hitlerjugend.“ Ich warf ei­ nen Blick in sein Soldbuch und ließ es fast fallen: Sein Geburts­ ort war Fürth! Sonst verhörte ich die Kriegsge­ fangenen in einem kühlen, aber korrekten Tonfall. Jetzt aber fehlten mir die Worte und ich versuchte es mit einer anderen Methode. Im breitesten Fürther Dialekt fragte ich ihn: „Nisten die Störche wieder auf dem

So kehrte Willie Glaser zurück nach Deutschland: Abteilung .Barbara' auf dem Vormarsch durch die Kornfelder der Normandie, in der Mitte Glasers Panzer .Barbara 2'. (Quelle: Regimental History of the 10th Mounted Rittes Regiment. Nürnberg 1947)

Schornstein?“ Jeder Fürther kannte das Storchpaar, das sein Nest auf einem stillgelegten Fa­ brikschornstein hatte. Wenn der Frühling kam, hielt jeder Aus­ schau nach den Störchen, die aus ihren Winterquartieren in wärmeren Ländern zurückkehr­ ten. Der SS-Mann schluckte und kniff die Augen zusammen. Die­ se Frage, die nur jemand stellen konnte, der einmal in Fürth ge­ lebt hatte, brachte ihn völlig aus dem Konzept. Als ich ihm dann auch noch sagte, daß er gerade von einen Juden vernommen wurde, versetzte ich ihm den endgültigen Knockout. Ich sprach noch mit einigen an­ deren SS-Leuten einschließlich des Offiziers, der erbleichte als ich ihm sagte, er spräche gera­ de mit einem Juden. Ich konnte förmlich sehen, wie die Räd­ chen in seinem Gehirn in den Schnellgang wechselten. Später erzählte mir der Geheim­ dienstoffizier des Regiments, daß dieser Offizier ein Veteran der „Leibstandarte Adolf Hitler“, Hitlers persönlicher Eliteeinheit, war, der zu einer Gruppe von kampferfahrenen Offizieren der „Leibstandarte" gehörte, die die Division „Hitlerjugend“ verstär­ ken sollten, die erst Mitte Juni

1944 zum Einsatz gekommen war Für mich war es ein ganz kleiner persönlicher Triumph und eine Genugtuung, die Angehörigen der 12. SS-Panzerdivision „Hit­ lerjugend“ so behandelt zu ha­ ben. Im Jahre 1936 war die Fa­ milie Glaser in die Schwabacher Straße 22 umgezogen, die nach wie vor eine geschäftige Haupt­ straße in Fürth ist. Während der Reichsparteitage in Nürnberg marschierten sehr oft Formatio­ nen der SS durch meine Straße. Als kleiner Junge beobachtete ich sie vom Fenster unserer Wohnung im ersten Stock. Niemals, nicht einmal in meinen wildesten Träumen hätte ich gedacht, daß eine Zeit kommen würde, in der ich in einen mör­ derischen Kampf mit der SS verwickelt sein würde.

Izbica Die Nachrichten, die mich über das Schicksal der Juden in den besetzten Ländern erreichten, waren katastrophal. Auf das un ablässige Drängen der jüdi­ schen Widerstandsbewegung in Polen hin schickte die polnische Exilregierung einen Kurier, den Diplomaten Jan Karski, in das Warschauer Ghetto, verkleidet

als ukrainischer Wachmann. Er versuchte in das Vernichtungs­ lager Belzec einzudringen, doch der Versuch schlug fehl. Er konnte jedoch einen Eindruck vom Durchgangslager Izbica gewinnen. Die Tragödie dabei ist, daß am 22. März 1942 mei­ ne Mutter und drei meiner Ge­ schwister von Fürth nach Izbica deportiert worden waren. Ent­ weder gingen sie dort zugrunde oder wurden weiter nach Belzec in den Tod geschickt. Im Jahre 1995 traf ich Jan Karski in Montreal, als ihn auf meine Aufforderung hin die Führer der polnischen Gemein­ de eingeladen hatten, um zu den Mitgliedern der polnischen und der jüdischen Gemeinde zu sprechen. Er trat vor einer gro­ ßen Zuhörerschaft auf, es gab nur mehr Stehplätze. Er signier­ te mein Exemplar seines Bu­ ches mit den Worten: „Für Wil­ lie Glaser, in Erinnerung an Ihre Mutter und ihre Kinder“.

Was hatten sie mei­

nen Eltern angetan? Im April 1945 betraten wir deut­ schen Boden. Wieder wurden die Kämpfe verbissen geführt, 11