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Alcstadtverein _______ Fürth

„Ganz normale Männer“ Die Kriegsverbrechen einer fränkischen Polizeitruppe Es ist der 15. Oktober 1942: Die Sonne ist noch nicht aufge­ gangen; die Bewohner des Ghettos in Brest-Litowsk schla­ fen noch. Scharfe militärische Kommandos durchschneiden die kühle Herbstluft. Etwa 100 fränkische Polizeibeamte erhal­ ten ihre letzten Anweisungen und setzen sich umgehend in Marsch, um gemeinsam mit SD-, SS- sowie „fremdländi­ schen" Einheiten, das jüdische Wohngebiet in der weißrussi­ schen Stadt aufzulösen. Bis zu 15.000 Männer, Frauen und Kinder werden aus den Häusern geholt, zum Bahnhof getrieben, in bereitstehende Viehwaggons gepfercht und zu einer Massen­ exekutionsstätte bei Bronnaja Gora transportiert. Ein Teil, zu­ meist Frauen mit ihren Kindern, Alte und Kranke, werden noch in der Stadt per Genickschuss getötet. Dass fränkische Polizisten an der Liquidierung des Ghettos in Brest-Litowsk beteiligt waren, ist hierzulande kaum bekannt. Auch im Dokumentationszentrum Reichsparteitage wird das un­ rühmliches Kapitel der fränki­ schen Polizeigeschichte bislang nicht thematisiert. Die Polizei­ kompanie Nürnberg wurde im Sommer 1941 aus etwa 130 Nürnberger und Fürther Polizeibeamten sowie Reservisten zu­ sammengestellt und im Herbst nach Brest-Litowsk verlegt. Sie unterstand dem SS- und Polizei­ führer für Wolhynien und fand Verwendung bei der Objektbewa­ chung sowie bei der „Bekämp­ fung von Partisanen". Bereits im September 1942 zerstörten An­ gehörige dieser Einheit die ukrai­ nische Gemeinde Kortelisy und ermordeten 2.875 Bewohner. Auch dieses Verbrechen lag Jahrzehnte im Dunkeln, bis eine TV-Dokumentation der Medien werkstatt Franken das vergesse­ ne Massaker publik machte. 12

Polizeidienst „ganz normale Männer", die nach 1945 wieder als anständige deutsche Schu­ pos für Ordnung und Sicherheit sorgten.

Am 23. September 1942 vernichtete die Polizeikompanie Nürnberg das ukraini­ sche Dorf Kortelisy. Am Abend zählte man 2 875 Tote, darunter 1.620 Kinder Agawija Iwanowna Sachatschuk verlor ihren Mann. Sie fragt sich noch heute verbittert;. Warum hatten die Deutschen keine Kugel mehr für mich, warum geizten sie mit einer einzigen Patrone! “ Foto: J. Tobias

Im Zuge eines Verfahrens we­ gen „Massenerschießungen in Brest-Litowsk" fanden die Strafverfolgungsbehörden im November 1961 heraus, dass Angehörige der Polizeikompa­ nie Nürnberg „mit wenigen Aus­ nahmen bei der Räumung des Ghettos, teilweise zur Außenab­ sperrung und innerhalb des La­ gers, beim Herausholen der Ju­ den aus ihren Wohnungen, ein­ gesetzt" waren. Bei den Verhö­ ren bestritten viele der Polizi­ sten jedoch vehement, an der Liquidation des Ghettos teilge­ nommen zu haben. Sie waren zur fraglichen Zeit entweder im Lazarett, auf Dienstreise oder Heimaturlaub, wie auch ein ho­ her Beamter der Stadtpolizei Fürth, der noch bis Ende 1969 in der Kleeblattstadt seinen Dienst verrichtete. Der Polizist gab bei seiner Vernehmung an, dass er im September und Ok­ tober 1942 Urlaub gehabt hät­ te, da seine Ehefrau kurz vor der Entbindung gestanden habe. Dass Angehörige der Polizeikompanie Nürnberg bei der Ghettoräumung eingesetzt wa­ ren, will er zudem erst nach dem Krieg von ehemaligen An­ gehörigen der Einheit erfahren

haben. Diese Angaben erschie­ nen sogar den Ermittlern un­ glaubhaft. „Es ist anzuneh­ men", so schrieb ein Kriminal­ kommissar mit Hinweis auf den Posten des Vernommenen, „dass er durch seine Aussagen sämtlichen Unannehmlichkeiten aus dem Weg geht und auch aus diesem Grunde von nichts wissen oder gehört haben will." Insgesamt gaben nur wenige der Polizisten eine „Beteiligung bei der Räumung des Ghettos“ zu, behaupteten allerdings, nicht gewusst zu haben, dass die Juden erschossen werden sollten. Oie Juden hätten ihren Befehlen zudem „wider­ spruchslos Folge geleistet". So­ dann habe man die Gefangenen an unbekannte Einheiten über­ geben. Obwohl Schüsse zu hö­ ren waren und auch Leichen auf den Straßen lagen, konnten sich die befragten Polizisten nicht erklären, wer die „Opfer getötet habe“.

Die Mitglieder der fränkischen Polizeieinheit wurden Anfang der 60er Jahre im Polizeipräsi­ dium Nürnberg vernommen. Einige der Beschuldigten waren zu diesem Zeitpunkt im aktiven

Obwohl die Justiz in ihrer Ein­ stellungsverfügung vom De­ zember 1965 zu dem Schluss kam „dass die Kompanie an der Räumung des Ghettos maßgeb­ lich beteiligt war", konnte kei­ nem der Beschuldigten eine konkrete Straftat nachgewiesen werden. Lediglich ein Angehöri­ ger der Truppe wurde vor Ge­ richt gestellt. 1947 verhafteten die Amerikaner den Polizei­ wachtmeister und lieferten ihn nach Polen aus. In Warschau wurde er aufgrund seiner Tätig­ keit als NS-Polizist und wegen seiner Zugehörigkeit zur Polizei­ kompanie Nürnberg zu insge­ samt sechs Jahren Haft verur­ teilt.

Während des Krieges kamen 40 Polizeiregimenter, etwa 300 Polizeibataillone und ca. 200 Schutzmannschaftsbataillone zum Einsatz. Die Gesamtstärke dieser Verbände - einschließlich sogenannter fremdvölkischer Hilfseinheiten - wird auf etwa 3 1/2 Millionen Mann geschätzt. Wie dem Standardwerk Enzy­ klopädie des Holocaust zu ent­ nehmen ist, waren die Polizei­ einheiten „maßgeblich an Ge­ waltakten gegen Juden beteiligt und taten sich dabei durch be­ sondere Grausamkeit hervor.“ Jim G. Tobias

Der Autor ist Mitarbeiter des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschich­ te des 20. Jahrhunderts. Am 22. Februar 2005 stellt er seine Publikation Jhr Gewissen war rein; sie haben es nie benutzt' Die Verbrechen der Polizeikom­ panie Nürnberg“ im Jüdischen Museum in Fürth vor.