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Altstadtverein ________________ Fürth

ge war der Umgang bestimmt von ahistorischem Pragmatis­ mus. Teile davon wurden ge­ schleift oder abgerissen. Das Denkmalschutzgesetz von 1973 setzte hier eine Zäsur. Mit der Eröffnung des Doku­ mentationszentrums im No­ vember 2001 hat die Stadt Nürnberg nach 56 Jahren ihr steinernes Erbe akzeptiert und will in Zukunft die Verantwor­ tung für einen angemessenen Umgang damit tragen.

(3.) Zeitgeschichtsforschung; sie ist trotz aller Sorgfalt immer ein Stück subjektiv. Der Reiz, damit Geschichtspolitik zu treiben, ist groß. Hier hat es heftige Kon­ flikte um die jeweilige Deu­ tungshoheit bzw. Interpretation historischer Ereignisse gege­ ben, wie zum Beispiel: FischerDebatte (Thesen Fischers: Hauptschuld Deutschlands am Ersten Weltkrieg, ideologische und personelle Kontinuität Kai­ serreich - Nationalsozialismus), Historikerstreit (Streitfrage: Können die nationalsozialisti­ schen Verbrechen als Reaktion auf kommunistische Verbre­ chen gesehen werden?), Gold­ hagen-Debatte (These: Dem Völkermord liegt ein in der deut­ schen Geschichte tiefverwurzel­ ter „eliminatorischer“ Antisemi­ tismus zu Grunde), Streit um die Wehrmachtausstellung (Grad der Einbindung der Wehrmacht in nationalsozialistische Verbre­ chen) etc.

(4.) Feld der ästhetischen Kultur. Erinnern spiegelte sich ebenso in Literatur. Film, Theater und Kunst.

Protagonisten der

Erinnerungsarbeit Ihre jeweiligen Protagonisten waren oft Vertreter der jeweili­ gen Erinnerungsphasen, von denen sich bis heute drei un­ terscheiden lassen:

(1.) Erstens jene Erinnerungs­ phase vom Kriegsende bis Ende der 1950er Jahre: Das große Beschweigen und die In26

terpretation vieler Deutscher, selbst Opfer des NS geworden zu sein. (2.) Ab den 1960er Jahren dann, befördert durch den Auschwitzprozeß, die Verjäh­ rungsdebatten im Bundestag und den beginnenden Genera­ tionenwechsel das Nachfragen der zweiten Generation, weil die Eltern wenig oder gar nichts erzählt hatten. Unangenehme und kritische Fragen wurden nun gestellt, Erinnern wurde langsam zu einem öffentlichen Thema („Der Stellvertreter" 1963 von Rolf Hochhuth, „Die Ermittlung“ von 1965 von Peter Weiss etc.). Betreffend Fürth lauteten sie z.B. nach der Vergangenheit bekannter Söhne der Stadt wie Ludwig Erhard. Symbolfigur des bundesdeutschen „Wirt­ schaftswunders“ und späterer Bundeskanzlers. Wie sah es mit seiner Zusammenarbeit mit Otto Ohlendorf aus. der als Un­ terstaatssekretär im NS-Wirtschaftsministerium an den Überlegungen der „Reichs­ gruppe Industrie" für eine Transformierung des Besitzund Geldvermögens der deut­ schen Wirtschaft partizipierte? Ohlendorf war ein Massenmör­ der, der als Chef einer SS-Einsatzgruppe mindestens 90.000 Menschen ermorden ließ. Er wurde in Nürnberg zum Tode verurteilt und 1951 aufge­ hängt. Was wusste Erhard von Ohlendorfs Rolle? Oder: Wie war denn die Rolle von Max Grundig und Gustav Schicke­ danz in der NS-Zeit? Ihre Ver­ dienste für die Stadt Fürth sol­ len hier in keiner Weise ge­ schmälert werden, aber Erin­ nern kann nur dann Sinn ma­ chen, eben nach der gesamten Wahrheit zu fragen. Die scheinbaren Bilderbuchkarrie­ ren beider Unternehmer haben jedenfalls einen braunen Fleck.

(3.) Schließlich, nach der deut­ schen Wiedervereinigung, die dritte derzeitige Phase von Er­ innern, die „Nationalisierung negativen Gedenkens“. Erin­

nern wird bis ca. zum Jahre 2010 ein ganz und gar künstli­ cher und kultureller Prozess werden, die Kommunikation mit Zeitzeugen wird es nicht mehr geben. Es kann aber an­ gesichts der „zweiten Ge­ schichte“ kein Vakuum geben. Deshalb verständigten sich die Eliten in der vereinigten Bun­ desrepublik darauf, Erinnern in Zukunft zu einer wichtigen ge­ sellschaftlichen Aufgabe zu er­ klären, die Unterstützung er­ fährt von Seiten des Bundes, der Länder und betroffener Kommunen. Hier ist als ein her­ ausragendes Beispiel die Eröff­ nung des Dokumentationszen­ trums Reichsparteitagsgelände Nürnberg zu nennen, für Berlin wurde die Errichtung eines Ho­ locaust-Mahnmals beschlos­ sen, viele weitere Beispiele lie­ ßen sich anfügen. Erinnern schließt im übrigen das Erin­ nern an den DDR-Unrechsstaat mit ein, ohne die verschiede­ nen politischen Systeme des Nationalsozialismus und des Realsozialismus gleichzuset­ zen. Erinnern darf niemals aufhören So sind die Voraussetzungen und Bedingungen für eine Fort­ setzung von Erinnern in der Bundesrepublik in hervorra­ genden Maß gegeben. Erin­ nern darf niemals aufhören: Es ist unabdingbar aufgrund der humanen und humanisti­ schen Komponente, das Leid und das erfahrene und erlittene Grauen der Opfer und deren Familien in Zukunft zu respek­ tieren. Die jüdische Kultur ist eine Kultur der Erinnerung mit einem außerordentlich schar­ fen Gedächtnis. Dieses gilt es zu respektieren, und ebenso das Erinnern an das Schicksal anderer Minderheiten wie Sinti und Roma, und weiterer betrof­ fener Gruppen und Individuen. Und ebenso ist Erinnern unab­ dingbar wegen des aktuellen gesellschaftspolitischen Bezu­ ges, der damit verbunden ist. Die Globalisierung des Geno­ zidgedenkens und die völker­ rechtliche Auseinandersetzung

mit Verbrechen an der Menschheit schreitet voran. Dem trug die Einrichtung des Internationalen Strafgerichts­ hofes in Den Haag im Jahre 2002 Rechnung. Er soll die hervorragende Idee der Nürn­ berger Prozesse wiederbele­ ben: den Angriffskrieg als größte Gefahr für die Mensch­ heit zu ächten und Politiker von Staaten und Regierungen, die solche Großverbrechen (Ma­ krokriminalität) planen und um­ setzen, vor Gericht zu stellen. Seine Einrichtung beruht nicht zuletzt auf der Erfahrung, das die Herstellung sogenannter „ethnischer Homogenität" mit­ tels Genoziden und Vertreibun­ gen zu einem strukturellen Kennzeichen der Moderne ge­ worden ist, quer durch alle un­ terschiedlichen Herrschafts­ ideologien. Sie kostete Millio­ nen von Menschen das Leben kostete. Die politische Realität ist bis heute ambivalent (Obstrukti­ onspolitik der USA dagegen; Tschetschenienkonflikt etc.). Doch wird an derartigen Kon­ trollinstrumenten kein Weg vor­ beiführen, wenn man den Glauben an eine bessere politi­ sche und wirtschaftliche Zu­ kunft auf der Welt nicht aufge­ ben will. Denn die Aufladung von Gewaltstrukturen in der Staatenwelt schreitet voran und stellt für nicht wenige Staaten den Anreiz dar, mittels Makrokriminalität politische Ziele zu erreichen. Hier in der Region sind mit dem Jüdischen Museum Franken sowie dem Dokuzentrum her­ vorragende Institutionen vor­ handen, Erinnern in diesem Sin­ ne weiter zu befördern. Es bleibt zu wünschen, dass die entspre­ chende Unterstützung von Sei­ ten der Politik erfolgen wird. Das Referat lehnt sich an fol­ gende Veröffentlichung an: Pe­ ter Reichel, Erfundene Erinne­ rung. Weltkrieg und Juden­ mord in Film und Theater. Hanser-Verlag. 2004.

Eckart Dielzfelbinger