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Aphrodite und das Hefeweizen Eine Geschichte aus dem Fürth des vergangenen Jahrhunderts Der Kachelofen hielt sich mit vier Säulen und einem Ofen rohr an der Decke fest, konnte man meinen. Aber es war um gekehrt. Erstmals verriet ich das Geheimnis: Der grie chische Riese Atlas stand hier getarnt als Kachelofen zwi schen den Tischen und trug den Himmel auf seinen Schul tern. am Rand der Erde, kurz vor dem Garten der Hesperieden. ganz im Westen der alten Weit, dort, wo vorhin die Venus verschwand. „Hast Du sie gesehen? Als ich zum Cafe lief, stand sic ganz hell im Westen. Weißt Du, die Venus hieß bei den Griechen noch Aphrodite. Aphrodites Name soll von einem altgrie chischen Wort für Schaum abgeleitet sein, weil sie aus Meeresschaum entstanden sein soll.“ In Florenz am Piazza della Signoria. hinter der Loggia dei Lanzi und dem Palazzo Vecchio - die Ahnen des Rat hauses neben dem Cafe - kann man Botticellis Venus in den Uffizien anschauen: Da ent steigt eine kühle Blonde bestimmt keine Italienerin einer Muschel am Meeres strand. Irdische Schönheit als Allegorie der Himmlischen Liebe, versuchen uns die Kunsthistoriker weiszumachcn. Aber die Realität sicht anders aus. Tatsächlich ist Aphrodite aus Schaum entstanden, das kann jeder nachlesen bei Hesiod, aus dem Schaum mei nes Hefeweizens. „Ja, und wie ist denn nun dieser Schaum entstanden? Also, lass cs Dir erzählen." Sie nickte nach kurzem Zögern langsam, aber wenig bedeutungsvoll, geschweige denn verheißungsvoll. Am Anfang war Himmel und Erde, das kennen wir ja alle aus dem Religionsunterricht. Bei den alten Griechen waren Himmel und Erde vorzeitliche Lebewesen, Uranos und Gaia, sie hatten einen Sohn namens
Kronos. Der musste sich von seiner Mutter Gaia ständig Klagen über den Vater an hören. der einige unappetit liche Unarten pflegte. Kronos, auch nicht gerade zart besaitet, entmannte Uranos auf Bitten seiner Mutter mit einer Sichel, als er auf Gaia lag. Sauberer Schnitt, seitdem sind Himmel und Erde ge trennt.
obwohl aus der Richtung gar niemand herschaute, ging zum Tisch beim Kachelofen, bestellte sich einen Cognac und vernaschte dazu demon strativ einen pubertierenden Jüngling. Mein intellektueller Quantensprung im Universum des Cafes und ein weiteres Hefe weizen hatten die Raum-Zeit Struktur durchschlagen, und
Der griechischen Mythologie zufolge übernahm Herakles einige Zeit die Last, die Atlas zu tragen hatte. Bei der Übergabe ist was schiefge gangen... Der Ofen im September 1995. Foto: A. Mayer
Kronos warf die abgeschnitte ne Teile hinter sich, aus dem herumspritzenden Blut ent standen Furien, diverse Mon ster und Nymphen, was ja recht leicht nachzuvollziehen war. saßen nämlich alle hier im Cafe herum. Meine Zuhörerin vollzog die mir geschickt erscheinende Wendung der Erzählung an scheinend nicht so ganz mit und schaute angestrengt auf einen fiktiven Punkt hinter der Theke irgendwo zwischen Gläsern und Spiegel. Die besagten Teile des Uranos fielen vom Himmel und schlu gen sodann ins Meer, daraus bildete sich der Schaum, aus dem dann Venus entsprang. „Jawohl, aus Schaum. Dieser perlende, betörende Schaum in meinem Hefeweizen". Sie schaute wie ein hypnoti siertes Kaninchen, winkte plötzlich jemanden zu.
diese Erschütterungen waren eben zuviel gewesen. Nichts neues hier im Cafe. ich blickte erwartungsvoll auf den Schaum in meinem Hefe weizen. Es passierte nichts. Keine Aphrodite, keine Venus entstieg dem perlenden Schaum: „Herr Wirt, wo ist denn die Venus in meinem Hefeweizen?“ Er lugte in mein Hefeweizen, schaute mich an und gab sei nen Damen hinter dem Tresen die Anweisung: "Der be kommt heute kein Bier mehr". Ich zahlte, schwörte nie wie der dieses Loch von einem Cafe zu betreten, zumindest an diesem frühen Morgen nicht mehr, lugte im Vorbeigehen in eine kitschige Disco, oh Graus, stieg auf mein Fahrrad, ein Kleinbus fuhr neben mir her, das Fenster wurde heruntergekurbclt: „Fahren Sie doch mal rechts 'ran bitte...". Über
schlägig hatte ich so fünf Hefeweizen genossen, nichts gegessen, kein Grund zur Sorge, ich blies und wie ver mutet: „O.K., 0,3 Promille, Sie können weiterfahren. Schönen Abend noch". Jetzt ließ ich das Fahrrad ste hen, holte mir noch einen Döner, schaute in den Himmel nach meinem einzigen Freund Jupiter, Gott sei Dank, da war er, erschreckte mit meiner Lederjacke noch ein paar Nachtschwärmer und bog in die Zielgerade ein, in eine Straße, in der ich noch nie auch nur eine einzige Blume gesehen hatte, nicht einmal ein Mauerblümchen, und dennoch hieß diese Straße... Wie hieß sie noch? Na, egal. Aus einer dunklen Toreinfahrt heraus sprach mich eine Halbwüchsige an und bot mir irgendetwas an, was ich nicht verstand, ich verwies auf meinen Döner: "Bin schon bedient, danke. Interessierst Du Dich für griechische Mythologie?" Sie meinte: "Klar, kostet aber extra...". Entweder läuft hier irgendet was falsch oder ich bin hier falsch, dachte ich mir und trot tete weiter. Endlich an der eigenen Hausnummer ange kommen. schaute ich mich vorsichtig um, weil die Toch ter des Hausherren die Tor einfahrt regelmäßig mit einer Autobahnauffahrt verwechsel te, dann schlüpfte ich einge denk dessen schnell wie ein Wiesel zur Treppe. Irgendjemand ließ wie jeden Morgen lange vor Sonnen aufgang unter meinem Fenster seinen Motor Warmlaufen. Die fahle Wintersonne trieb mich dann vollends von der hellen Nacht in die Dunkelheit des Alltags, bis abends wieder das Cafe erwachte und ich in das warme Licht am Tresen eintauchte.
Alexander Mayer
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