29. Das Metallschlägergewerbe klagt über den Mangel an Arbeitskräften, da „...Lehrlinge in diesem Gewerbe in den letzten Jahren fast nicht mehr angelernt wurden. Weil Bronze das Blattmetall ziemlich verdrängt hatte.“ 132 - Die Rechnung des städtischen Krankenhauses für 1910 schließt günstig ab, da von dem etatmäßigen Zuschuß von 25.000 Mark nur 10.625 Mark benötigt wurden. Die Besuchsfrequenz hatte den Voranschlag nicht erreicht (Voranschlag: 25.000 Verpflegungstage; geleistet: 23.244). Die täglichen Betriebsunkosten betragen 3,56 Mark pro Kranken (ohne Baukosten). Der „Kurkostensatz“ beträgt 3,25 Mark, liegt also niedriger als die Kosten. - Der Magistrat hat in geheimer Sitzung für Maßnahmen gegen die Teuerung 3.000 Mark bewilligt. Einige Fabrikbesitzer verteilen verbilligte Kartoffeln. - Die Fischverkaufshalle am Obstmarkt, welche wegen schlechten Geschäftsgangs geschlossen wurde, soll Ende des Jahres abgerissen werden. Die Stadt lehnte einen Kauf ab. 133 - Im Windschatten der Ereignisse um Marokko wittert die italienische Regierung Chancen, ihren Einfluß im türkischen Tripolis und der Cyrenaika zu erhöhen. Als die Türkei die Forderung nach mehr Handlungsfreiheit in Tripolis ablehnt, erklärt Italien den Krieg, Tripolis (5.10.) und die Küste der Cyrenaika werden besetzt. 30. Eintrag von Chronist Rieß: „Die Kriegserklärung Italiens an die Türkei wurde in hiesiger Stadt heute früh bekannt und rief unter der Bevölkerung große Aufregung hervor. Da viele hierin den Anfang zum Beginn eines Weltkrieges erblicken. Die Telegramme, welche an den Depeschentafeln der Nordbayerischen Zeitung angeschlagen sind, werden vom Publikum eifrig gelesen“.134 Die städtische Poliklinik für Schulkinder legt einen ausführlichen Bericht ihrer Tätigkeit vor. Sie wurde am 15.11.1909 eröffnet und gibt minderbemittelten Schulkindern unentgeltlich ärztlichen Rat. Im Schuljahr 1910/11 wurden 722 Kinder untersucht und behandelt, es wurde auch an fast 500 schwächlichen und anämischen Kindern Milch ausgeschenkt.135 Gewerbestatistik: insgesamt gute Konkjunktur, vor allem in der Holzindustrie. Zunahmen auch wieder bei der Metallbranche. Negative Entwicklung in den Sparten Glas, Papier und Leder.136
Oktober 1911 1. Kirchweihsonntag. 2. Kirchweihmontag. 3. „Heuer sind auf der Kirchweih 32 Musikgesellschaften (Harfenzupfer) mit 107 Personen eingetroffen. Darunter befinden sich 2 Italienergruppen. Gegen die früheren Jahre ist diese Zahl bedeutend zurückgegangen.“137 7. Der seit 29. Juli in den Celluloidwarenbetrieben andauernde Streik wurde durch „das Eingreifen des Gewerbegerichtes als Einigungsamt beigelegt“.138 8. Streik in den lithographischen Kunstanstalten.139 9. Ausbruch der Revolution in den Großstädten Chinas. Zum Schutz der deutschen Staatsbürger entsendet die Reichsregierung Kanonenboote nach Hankau. 10. Privatier und Magistratsrat Emil Scheidig verstirbt 72jährig. Scheidig gründete 1872 eine Goldleistenfabrik, aus der sich eine Spiegel- und Möbelfabrik entwickelte. Er war als Vertreter der nationalliberalen Partei 1890-99 Mitglied des Gemeidekollegiums und seit 1906 im Magistrat. Weiterhin war er seit 1904 1. Vorsitzender des Verschönerungsvereins.140 11. Kirchweihschluß. - Deutschland und Frankreich einigen sich in der Marokko-Frage. 14. Wahlen zum Handelsgremium. Von 1.000 Wahlberechtigten stimmten 207 ab. Zwei Kandidatenlisten (Kaufmännischer Verein u. Detaillisten- und Handelsagenturverein). Wiedergewählt wurden: Geh. Kommerzienrat Hans Humbser (202), Kommerzienrat Leopold Bendit, Kommerzienrat E. Ley (209), Privatier Leop. Ehrmann (131) und Fabrikbesitzer Gustav Neidhardt (128). Neugewählt wurde Kaufmann Wilhelm Erhard (175). - Einnahmen der Ludwigsbahn während der Kirchweih: 19.900 Mark; Einnahmen der Straßenbahn auf der Linie I Nürnberg-Fürth in derselben Zeit: 31.400 Mark.141 17. Im großen Evorasaal in der Pfisterstraße findet eine öffentliche Frauenversammlung mit ca. 250-300 Besuchern statt, in welcher Klara Zetkin (Stuttgart) über die Wirtschaftspolitik referiert.142 18. 35 Inhaber der bedeutendsten Detaillisten-Geschäfte am hiesigen Platze haben eine Eingabe zur „Reform der Kirchweih“ an den Magistrat gesandt. In ihr wird u.a. gefordert, daß Warenverkaufsbuden nicht mehr zugelassen werden, welche Waren führen, die auch von Fürther Einzelhändlern verkauft werden. Zudem sollen die Geschäfte nicht mehr mit Buden „verbaut“ werden.143 19. Die Gemeindeersatzwahl wird auf den 13. November anberaumt. Der Antrag der Sozialdemokraten, die Wahl an einem Sonntag abzuhalten, wurde abgelehnt. Wegen Ablauf der Wahlzeit scheiden 3 Sozialdemokraten (unter ihnen Martin Segitz), 2 „Wilde“, 4 Nationalliberale und 5 „Fortschrittliche Volksparteiler“ aus. Im Gemeindekollegium verbleiben 12 Sozialdemokraten, 5 Nationalliberale und 11 „Fortschrittliche Volksparteiler“.144 - Die Fortschrittliche Volkspartei lehnt einen „Wahlkompromiß“ [wohl eine Listenverbindung gemeint] mit der National-Liberalen Partei bei den bevorstehenden Gemeindewahlen ab.145 59