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decken. Eltern sollen bei herannahendem Schulschluß die Erlernung des entsprechenden Gewerbes empfehlen, „dabei sei noch besonders betont, daß die jungen Leute in den Handschlägereien vollständig ausgebildet werden, entgegen den Maschinenbetrieben, wo sie nur Teilarbeit erlernen und infolgedessen an einem Betrieb gebunden sind“. Die Metallschlägerei habe nach schwerer Krise wieder zu einer neuen Blüte gefunden: „Als die Federhämmer auftauchten, von denen jetzt zahlreiche in Betrieb sind, befürchtete man, daß durch sie die Handarbeit gänzlich verdrängt werde. In dieser Annahme täuschte man sich gründlich, da die Handarbeit bis zur Stunde die feinere und gediegenere verblieb. Die Metallschlägergehilfen verdienen gegenwärtig durch das Schlagen von 20 Formen 26 Mark per Woche, die Einlegerinnen bis zu 14 Mark und darüber. Ein Ehepaar, das zusammen arbeitet, was häufig vorkommt, ist somit in die Lage versetzt, pro Woche 40 Mark zu verdienen. Nicht verkennen läßt sich, daß die Arbeit der Gehilfen eine anstrengende ist und daß die Einlegerinnen gute Lungen zur Ausübung ihrer Berufspflichten brauchen. Durchschnittlich findet man - was mit der Arbeit zusammenhängen soll - daß die Metallschläger gute Sänger sind... Metallschlägereibetriebe verzeichnet das Adressbuch zur Zeit 182. Eingebürgert ist das Metallschlägergewerbe hier bereits seit 1705.“82 - Der Magistrat nimmt an einer Probefahrt auf dem ersten motorisierten Handelsboot auf den Ludwigs-Kanal. Man erzielte eine Geschwindigkeit von bis zu 6 Km. die Stunde, während bei der bisherigen Schleppung mittels Pferde höchsten 2 bis 2 1/2 erreicht werden könne.83 16. Der Magistrat weist auf die Bestimmungen der Kinderschutzes hin, demzufolge Kinder unter 13 Jahren nicht mehr als 4 Stunden täglich beschäftigt werden dürfen. Vor 8 Uhr morgens und nach 8 Uhr abends ist eine Beschäftigung untersagt. Arbeitgeber müssen die Beschäftigung eines Kindes unter 13 Jahren beim Magistrat anmelden.84 18. Der Turnverein Fürth e.V., gegründet 1860, veranstaltet zur Feier des „100jährigen Bestehens des deutschen Turnens“ ein großes Schauturnen, zeigt „volkstümliche Uebungen“ und Wettspiele. Ein Festabend beschließt das Programm.85 19. Der Verein für Ferien- und Waldkolonien weiht sein Vereinsheim in Cadolzburg ein, gestiftet von Kommerzienrat Theodor Löwenstein.86 22. Eintrag von Chronist Paul Rieß: „Die Damenmode zeitigt in diesem Jahre wunderbare Blüten. Die Hüte sind zum Teil nach einem Modell wie der sel. Napoleon im Jahre 1813 einen solchen getragen oder in Form des Zeppelin'schen Luftschiffes hergestellt. Bei anderen diente ein Bienenkorb oder ein Topf als Muster. Die Röcke sind so eng, daß nicht einmal Unterröcke getragen werden können.“87 - Die Stadt will einen Diplom-Maschineningenieur für die städtischen Heizungsanlagen einstellen: „Mit seiner Hilfe soll auch versucht werden, die Rauch- und Rußbelästigungen aus den Privat-Fabrikschlöten abzustellen.“88 - Bei den Krönungsfeiern für den britischen König Georg V. nehmen sämtliche deutsche Reichsfürsten an den Zeremonien teil. Der deutsche Kaiser, der schon im Mai den König besucht hat, wird vom Kronprinzenpaar vertreten. 23. Vom Unterhalt der Realschule trägt die Stadt nur noch die „Realkosten“, während der „Kreis“ [entspricht nicht einem heutigen Landkreis, sondern in etwa dem Regierungs-Bezirk] von nun an die Personalkosten bestreitet. - Die Arbeiten am Stadtpark sind vollendet, der Blumengarten wird dem Publikum zugänglich gemacht, der Springbrunnen in Betrieb gesetzt. - Martha Krautheimer stiftet der Stadt 60.000 Mark zur Errichtung einer weiteren Krippenanstalt. - Das Rücktrittsgesuch von Hofrat Ernst Beeg wird vom Magistrat angenommen. Beeg war seit 1873 als Assessor und rechtskundiger Magistratsrat bei der Stadt, seit 1901 2. Bürgermeister.89 25. Schießhauskirchweih mit Vogelschießen (nach Rieß erstmalig am 26.6.1776).90 27. Erstmalige Durchführung des Schülerspielfestes oder Luitpoldtages der drei Fürther Mittelschulen (k. Realschule, k. Gymnasium u. isrealitische Realschule).91 28. Am Grabe seines kürzlich verstorbenen Kindes erschießt sich ein verheirateter Ausgeher namens Flößl aus Schmerz über dessen Tod.92 29. Der „Aviatiker“ Hirth überfliegt in seinem „Aeroplan“ die Stadt in einer Höhe von 90 Metern über den Friedhof und das Pegnitz- und Regnitzal abwärts. Hirth legt die Luftlinie München-Berlin (ungefähr 530 Kilometer) in 5 Stunden 56 Minuten zurück und gewann einen Preis über 50.000 Mark. (Zweiter Überflug eines gelenkten Luftfahrzeuges nach dem Luftschiff Parseval 3 am 13.10.1909).93 Die gewerbliche Statistik zeigt für Juni eine ausgeprägt negative Entwicklung im Baugewerbe, weniger gravierend in den Sparten Papier, Leder und Polygraphisches Gewerbe, Holz, Glas und Handel. Positive Entwicklungen dagegen in der Metallbranche (dort deutliche Umschichtung zugunsten der weiblichen Beschäftigten). Ansonsten keine größeren Bewegungen.94

Juli 1911 1. „Panther-Sprung“: Die deutsche Regierung entsendet das Kanonenboot „Panther“ nach Agadir in Marokko, greift damit in den Marokko-Konflikt ein und versucht - ohne dies offen auszusprechen - seine Ansprüche auf 56