August 1912 1. Ein Spender, der ungenannt bleiben will, übergibt OB Kutzer 15.000 Mark für die Erweiterung des Nathanstiftes. Der Magistrat lehnt den Bau eines Betriebsgebäude für die städtischen Werke ab, woraufhin Baurat Tillmetz sein Amt als Verwaltungsleiter des städtischen Installationsgeschäftes niederlegt. - Der Magistrat bestimmt den DiplomHandelslehrer A. Müller zum städt. Schulrat. - Der Magistrat beschließt die Neukanalisation der Stadt in zwei Vierjahresabschnitten.161 2. Die Arbeitgeber-Delegierten antworten ebenfalls in Gestalt eines Flugblattes auf das Flugblatt des Gesamtvorstandes der Ortskrankenkasse [vgl. 29.7.12]: „Die Unterzeichneten halten aufrecht, daß die Verwaltung der Ortskrankenkasse durch den Hauskauf und Hausbau und durch eine verschwenderische Verwaltung die Kasse an den Rand des Untergangs gebracht hat, trotzdem schon bis jetzt hier höhere Beiträge erhoben wurden, wie bei 62% aller deutschen Ortskrankenkassen ... Die Verfolgung der von uns nachgewiesenen Verletzungen gesetzlicher und statutarischer Vorschriften ist Sache der Aufsichtsbehörden.“ - Bei einem schweren Unglück am im Bau begriffenen Großkraftwerks Frankens gibt es 9 Tote und 35 Schwerverletzte. - Außerordentliche Generalversammlung der Delegierten für die Fürther Ortskrankenkasse im „Schwarzen Kreuz“. Anwesend waren 63 Arbeitgeber- und 148 Arbeitnehmerdelegierte. Beschluß, die Beiträge vom 5. August an auf 5 1/4% zu erhöhen, ab 1.1.1913 sollen 4 3/4% erhoben werden. Ersteres bedeutet je nach Klasse (Verdienstgruppe) einen Arbeitgeber-/Arbeitnehmeranteil von 11/22 bis 50/100 Pfg. Die Entlassung des Kassenvorstandes Bauer kam nicht mehr zur Verhandlung, da die Erörterung der verschiedenen Flugblätter zu viel Zeit in Anspruch nahm.162 3. „Eine angesehene Bürgerstochter“ (Emmi Fronmüller) vergiftet sich aus Gram mit Leuchtgas, als sie erfährt, daß ihr Bräutigam unheilbar krank ist. - Versammlung der christlichen Gewerkschaft im Gesellenhospiz wegen der „Angelegenheit Ortskrankenkasse“.163 - Die Osmanische Regierung gewährt Albanien beschränkte Autonomierechte, die albanische Sprache wird Amts- und Unterrichtssprache. 4. Versammlung der Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften im Schwarzen Kreuz „wegen der Angelegenheit Ortskrankenkasse.“164 5. Abermalige Erhöhung der Schweinefleischpreise um 5 Pfg./Pfund. - Die in den Fürther Exporthäusern beschäftigten Magaziner, Lageristen, Packer, Einbinder und Einbinderinnen sind in eine Lohnbewegung eingetreten und stellen u.a. folgende Forderungen: (Wochen-) Löhne für Einbinder 15 - 25 Mark, für Einbinderinnen 9 - 16 Mark; Lohnerhöhung für Packer und Lageristen um 2 Mark; Urlaub von 3 - 8 Tagen (jeweils je nach Beschäftigungsdauer). Arbeitszeitbegrenzung auf 56 Stunden/Woche.165 7. Der Verschönerungsverein Fürth vergibt anläßlich eines Blumenschmuckwettbewerbs insgesamt 90 Preise. - Im Silberschlägergewerbe soll aufgrund der Überproduktion der Vertrag zwischen der Fa. Spiegelberger und den Silberschlägermeistern einerseits und dem Deutschen Metallarbeiter-Verband andererseits gekündigt werden.166 Katholikentag in Aachen fordert Aufhebung des Jesuitengesetzes vom 4.7.1872 (verbietet Betätigung der Jesuiten im Reich). 8. Hundertjähriges Jubiläum der Firma Krupp. - Schlagwetterexplosion auf der Bochumer Zeche „Lothringen“, 115 Opfer. 9. Die Angestellten der Allgemeinen Ortskrankenkassen treten ebenfalls mit einer ausführlichen Erklärung an die Öffentlichkeit, die sich auf die Kritik von einem Arbeitersekretär Schnitzler von der Hirsch-Dunkerschen Gewerkschaft bezieht. Dieser hatte die fehlende kaufmännische Ausbildung der Angestellten kritisiert. Die Angestellten antworten ihrerseits, daß eine kaufmännische Ausbildung nicht vonnöten sei und Arbeiter für die anfallenden Arbeiten genauso geeignet seien. Auch könne von keiner überhöhten Bezahlung und auch nicht von geringer Arbeitsleistung gesprochen werden. So komme in Fürth auf 1.147 Mitglieder ein Angestellter, im Durchschnitt des Reiches auf 800-900 Mitglieder ein Angestellter. Zudem sei der Krankenstand in Fürth mit am höchsten im Reich, so komme in Nürnberg auf 20.000 Mitglieder nur 480 erwerbsunfähig Erkrankte, in Fürth auf noch nicht 20.000 Mitglieder 1.100 Erwerbsunfähige. Die Angestellten vermuten, aus politischen Gründen herabgewürdigt zu werden.167 - Der französische Ministerpräsident Poincaré sichert der russischen Regierung anläßlich eines Staatsbesuches in Petersburg die Unterstützung der russischen Balkanpolitik zu. 10. Arbeitersekretär Schnitzler wiederholt seine Vorwürfe [vgl. 9.8., 2.8. u. 4.8.1912]: Mit ihren Gehältern „... braucht sich die Krankenkasse nicht zu schämen, man sieht, die Angestellten, die aus Arbeiterkreisen hervorgegangen, also nicht kaufmännisch geschult sind, sitzen wärmer als ihre Berufsgenossen. Aber auch von dem sozialdemokratischen Grundsatz der Gleichberechtigung merkt man bei diesen Gehältern sehr wenig.“ Da von 17 Angestellten keiner fähig gewesen sei, die Schwabacher Ortskrankenkasse zu revidieren, „darf man sich über die finanziellen Verhältnisse der Fürther Kasse nicht wundern, dann verdienen in der Tat die Angestellten die angeführten Löhne nicht.“ Es stimme auch nicht, daß Fürth den höchsten Krankenstand in Fürth habe. Der [angebliche] Vorwurf der „Simulation“ (Krankmachen) sei zurückzuweisen. Abschließend: „Mit welchen Kanonen würde man wohl von sozialdemokratischer Seite auffahren, wenn solche Finanzverhältnisse unter Führung von bürgerlichen Leitern Platz gegriffen hätten.“168 - Der Vertrag zwischen der Stadt Fürth und Theater-Direktor Balder 80
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