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Februar 1912 1. Der seit 18 Wochen währende Streik der Lithografen und Steindrucker ist beendet. „Die Arbeiter haben dabei schlecht abgeschnitten“.19 2. Die Rodelbahn beim Forsthaus kann erstmalig von Rodlern befahren werden. 20 5. Wahlen zum bayerischen Landtag. 14,644 Wahlberechtigte, 11.752 Wähler. Ergebnis in Fürth-Stadt und Land: Segitz (Sozialdemokraten) 10.248, Klampfer (Sozialdemokraten) 10.206, Helmreich (Reichspartei) 1.286 und Sippel (Zentrum) 1.284 Stimmen. Martin Segitz (Redakteur und Gemeindebevollmächtigter in Fürth) und Georg Klampfer (Zigarrenfabrikant und Magistratsrat in Zirndorf) sind damit gewählt21. Das Zentrum bleibt im Landtag trotz Verluste stärkste Partei. Mandatsverteilung: Zentrum 87 (1906: 98), Liberale 31 (24), Sozialdemokraten 30 (24), Konservative 7 (18), Bayerischer Bauernbund 8 (2). 8. Der Magistrat stimmt einer Bürgschaft von 29.500 Mark für die zweite Baugruppe der Baugenossenschaft Eigenes Heim „mit allen gegen 5 Stimmen zu“.22 - Besuch des britischen Kriegsministers Lord Haldane in Berlin. Er drängt auf eine Reduzierung der deutschen Flottenrüstung. Einen Tag vorher veröffentlichte die Marine die neue Flottenvorlage, die drei zusätzliche Linienschiffe enthält, was wohl als Affront gedacht war und auch so aufgefaßt wird. Reichskanzler Bethmann Hollweg wünscht eine Neutralitätserklärung Englands im Falle eines europäischen Konfliktes, auch wenn Deutschland Angreifer sein sollte. Die Gespräche bleiben ergebnislos. 9. Versammlung der Beschäftigten der Fürther Spiegelrahmenindustrie im Evorasaal. Protest gegen die Exporteure, die anscheinend Aufträge zurückhalten, um die Industrie unter (Preis-) Druck zu setzen. 23 - Der Landtag in Oldenburg spricht verheirateten oder selbständigen Frauen ab 24 Jahren, soweit sie Steuern zahlen, das Kommunalwahlrecht zu. 11. Ligaspiel SpVgg Fürth - Männerturnverein München 4:0 24 13. Infolge von Auseinandersetzungen zwischen Herstellern und Exporteuren sind 600 Arbeiter in der Spiegelindustrie ohne Arbeit, vier große Fabriken haben mangels Aufträge geschlossen. Aus Solidarität habe die Arbeiter der Kleinbetriebe ebenfalls die Arbeit niedergelegt. Ausgeschlossen sind nur 3 Betriebe mit 35 Arbeitern.25 Der letztjährige Streik im Blattmetallgewerbe hat nicht nur zu erheblichen Lohnerhöhungen geführt, sondern auch zu einem Zusammenschluß der Arbeitgeber (Firma Ludwig Spiegelberger und etwa 7/8 der Meister). Der Zweck ist u.a. der einheitliche Vertrieb der Produktion. Zu den vertraglichen Bestimmungen gehört auch eine Grenze der Lagerbestände, die jetzt erreicht ist. Deswegen wird im Silberschlägergewerbe derzeit nicht gearbeitet, bis Angebot und Nachfrage wieder in Einklang gebracht sind (vgl. 30.1.) 26. - Das Gemeindekollegium stimmt der BürgschaftsÜbernahme für das „Eigene Heim“ mit 22 gegen 16 Stimmen ebenfalls zu (vgl. 8.2.).27 14. Herr Josef Berlin erhöht zum Andenken an seine letztjährig gestorbene Mutter die Wilhelm Berlin'sche Stiftung mit der Bedingung, daß sie nunmehr den Namen „Wilhelm und Pauline Berlin'sche Stiftung“ erhält (vgl. 19.4.1911).28 - Sachsen-Coburg-Gotha führt das geheime und direkte Wahlrecht und eine Neueinteilung der Wahlkreise nach Größe der Bevölkerungszahl ein. 15. Der Verein der Gartenfreunde besteht seit zehn Jahren, seit drei Jahren besitzt er die Gartenanlage an der Erlanger Straße nahe der Pulverfabrik.29 16. Der Magistrat beschließt, den von Kaufmann und Magistratsrat Gebhardt geerbten wertvollen Bücherbestand im Dachgeschoß des Amtsgebäudes in der Hirschenstraße zu lagern. Chronist Paul Rieß vermerkt: „Es dürfte dies der erste Schritt zur Eröffnung eines städtischen Archives sein“. Der Beschluß wird jedoch nicht ausgeführt, die Bücher 30 verbleiben auf dem Boden des Berolzheimeraniums. 17. Die „Zichorienfabrik“ Jos. Scheuer besteht seit 100 Jahren. In Zeiten der Kontinentalsperre mit sehr hohen Kaffeepreisen wurde die „Mandelrübenkaffeefarbik“ genehmigt, als einzige bayerische Kaffeesurrogatfabrik konnte 31 sie in der Folgezeit ihre Selbständigkeit erhalten. 21. Chronist Paul Rieß: „Fastnacht. In der Schwabacherstraße und vor dem Rathause war infolge des Fastnachtsrummels ein bewegtes Leben. Das Confettiwerfen hat sich zu einem wahren Unfug ausgebildet.“ 32 23. In Fürth bestehen 4 Kinematographen, 2 in der Königstraße, einer im Hause Mathildenstraße 1 und ein vierter im Anwesen Schwabacherstraße 36.33 25. Die Spielvereinigung Fürth schlägt im Endspiel um die Ostkreismannschaft in München vor circa 4.000 Zuschauern die Fußball-Abteilung „Wacker“ des Sportklubs Monachia mit 8:0 Toren. Die Sieger fuhren sofort nach Beendigung des Spiels mit dem D-Zug nach Fürth, wo sie abends von einer nach „tausenden zählenden Volksmenge mit ungeheurem Jubel empfangen und von rund 200 Fackelträgern in das Vereinslokal der Spielvereinigung, Restauration Langmann, Friedrichstr., geleitet (wurden). Die Spielführer Burger sowie Seidel, welche mit riesigen Lorbeerkränzen umhangen waren, wurden auf den Schultern getragen.“34 26. Der Holzarbeiterausstand ist beigelegt, es kam eine Einigung der Exporteure über die strittigen Punkte zustande (vgl. 9. u. 13.2.). - Die Silberschlägermeister nehmen ihren Betrieb wieder auf (vgl. 30.1.).35 28. Das Gemeindekollegium lehnt den Beschluß vom 16. Februar bzgl. der Gebhardt'schen Büchersammlung mit 20 gegen 16 Stimmen ab und beschloß die Überweisung der Bücher an das Germanische Museum in Nürnberg gegen 72