Rundfunkgeschichte 1. Komponenten für das Richtungshören Schon vor mehr als 140 Jahren hatte John William Strutt ali as Lord Rayleigh eine Theorie entwickelt [1], die zumindest teilweise den Prozess des Rich tungshörens zu erklären ver suchte. Er führte dann 1907 die DuplexTheorie (duplex: lat. „doppelt“) der Schallloka lisation ein. Diese Theorie trug wesentlich zum Verständnis des Richtungshörens bei. Lord Rayleigh hatte beobach tet, dass bei Schallwellen mit kleiner Wellenlänge im Ver gleich zum Ohrabstand der Kopf eine Abschattung be wirkt, sodass der Schallpegel (subjektiv die Lautstärke) am der Schallquelle zugewand ten Ohr höher ist als am der Schallquelle abgewandten Ohr (siehe Abb. 1). Das bedeutet, dass bei hohen Audiofrequen zen eine Pegeldifferenz zwi schen beiden Ohren entsteht (ILD Interaural Level Diffe rence). Außerdem bewirkt der unterschiedliche Abstand der beiden Ohren zur Schallquelle (Abb. 1) einen Zeitunterschied im Auftreffen des Schalls zwi schen rechtem und linkem Ohr. Der Zeitunterschied lässt sich mit der Formel aus Abb. 1 berechnen. Lord Rayleigh konnte zeigen, dass diese Zeitdifferenz (ITD Interaural Time Difference) besonders bei tiefen Audiofre quenzen wirksam wird, wo die Pegeldifferenzen (ILDs) zu ver nachlässigen sind. 12
Die DuplexTheorie besagt nun, dass wir diese zwei Prin zipien gleichzeitig zur Rich tungsfeststellung benutzen. Die DuplexTheorie bietet aber keine Erklärung an, wenn die Schallquelle direkt vor, hinter oder über dem Zuhö rer ist. Dann sind nämlich kei ne Pegel- und Zeitdifferenzen vorhanden. Aber dennoch können wir Schallquellen lo kalisieren die sich direkt vor, hinter oder über uns befin den. Selbst wenn eine einsei tige Hörbehinderung vorliegt. Es muss also noch eine dritte Komponente für das Rich tungshören geben. Den Durchbruch in der Er klärung brachten erst die Er kenntnisse über spezielle Fil tereffekte. Schallwellen die aus verschiedenen Richtungen kommen werden an den Au ßenohren (Ohrmuschel), Kopf, Schultern und Oberkörper un terschiedlich reflektiert. Diese Filtereffekte (akustische Filte rung) bewirken eine Änderung der spektralen Zusammen setzung des Klangs der unser Trommelfell erreicht. Abb. 2 zeigt die Messung dieser akustischen Filterung (HRTF HeadRelated Transfer Func tion). Die Messung erfolgt mit einem Kunstkopf mit einem möglichst getreuen Abbild des menschlichen Ohres. Im Ge hörgang des Kunstkopfes ist ein Mikrophon angebracht. Über den Lautsprecher wer den dann Schallwellen über den Bereich von ca. 0,2 kHz
Rundfunk & Museum 101 – August 2021
bis 20 kHz mit konstantem Pe gel erzeugt und für die jewei lige Frequenz der Pegel über das Mikrophon gemessen. Es ergeben sich drei Kurven. Die Rote wenn die Schallquelle (Lautsprecher) vor dem Kunst kopf platziert ist. Die Grüne für die Schallquelle hinter dem Kopf. Und die Blaue, wenn die Schallquelle über dem Kopf angeordnet ist. Das Gehirn kann aus dem jeweiligen Ver lauf auf die Richtung schlie ßen. So wird angenommen, dass z.B. die Spitze der blauen Kurve bei ca. 7 kHz dem Ge hirn einen Hinweis liefert, dass die Schallquelle sich über dem Kopf befindet. Wie wir gesehen haben, ist der Prozess des Richtungshö rens sehr komplex. Wer noch tiefer einsteigen möchte, dem können wir die Lektüre von Blauerts „Spatial Hearing“ empfehlen [2]. 2. Technik der Kunstkopfstereophonie Schon immer hatten die Men schen den Traum von der na turgetreuen Übertragung und Wiedergabe von Szenen und Ereignissen. Dabei übernahm das Bild die Vorreiterrolle. Schon 1832 hatte Sir Charles Wheatstone die räumliche Bildwiedergabe erfunden. 1842 wurden dann erste ste reoskopische Photographien gemacht. 1903 zeigten die Gebrüder Lumiére den ers ten räumlichen (stereoskopi schen) Film.