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Funkgeschichte Die von August 1941 bis April 1944 ausgestrahlten deutsch­ sprachigen Beiträge (ofÏzielle Verlautbarungen, Flugblätter, Kommentare, Gedichte, auch Kriegsgefangenendienst) wur­ den vom österreichischen Kommunisten Fritz Fuchs (1912­1988) teils übersetzt, teils selber geschrieben und gesprochen. In einem Rückblick berichtet Olga Bergholz 1946 (bearbei­ tet 1970) Allgemeines von der Sendetätigkeit, aber auch von einigen besonderen Mo­ menten. Allgemein wird er­ wähnt, wie Reden, klassische Musik, Literatur und aktuelle Gedichte der Bevölkerung Er­ mutigung und geistige Nah­ rung gaben. Man übergoss die deutschen Belagerer mit Sati­ re; in einem Nebensatz findet man aber auch den Hinweis auf Propaganda gegen unso­ lidarisches Verhalten in der Stadt. Mitarbeitende von Ra­ dio Leningrad wagten sich an die Front und berichteten an­ schließend als Augenzeugen vom Geschehen. Olga Berg­ holz erinnert sich an besonde­ re Reden, wie die von Dmitri Schostakowitsch (1906­1975), der von der Arbeit an seiner Symphonie berichtete, oder Durchhaltereden des Schrift­ stellers und damaligen Mari­ ne-OfÏziers Wsewolod Wisch­ newski (1900­1951) oder der Lyrikerin Anna Achmatowa (1889­1966, nach dem Welt­ krieg verfolgt). Sie erinnert sich aber auch an eine Mut­

ter, die sich am 19. September 1941 bis ins Studio vorkämpf­ te, um ihren soeben durch deutsches Bombardement getöteten Kindern ein Denk­ mal zu setzen. Es gab zeitwei­ se Radiobrücken zu Sendern anderer belagerter Städte. Genannt werden die ukrai­ nischen Städte Kiew, Odessa und Sewastopol, wie Lenin­ grad später „Heldenstädte“, die in der ersten Phase des deutsch-sowjetischen Krieges allerdings an die Deutschen fielen. 1946 „weiß“ Olga Bergholz, wie sehr die weitere Existenz des Leningrader Rundfunks auch den Rest des Landes im Kampf gegen den Hitler­Fa­ schismus bestärkt habe. Das ist offenbar nicht nur nach­ trägliches Selbstbewusstsein: Der Schriftsteller und Litera­ turwissenschafter Ales Ada­ mowitsch (1927­1994), der 1981 ein damals noch zen­ siertes Buch mit Zeugnissen Leningrader Blokadniki mit herausgab, tat das auch, um Leningrad Ehre zu erweisen: „‘Moskau hält sich, Leningrad gibt nicht auf!‘ Wie wichtig war es, das [1943/44 als Partisan] in den Wäldern Weißrußlands zu hören. Für uns war wichtig, daß Leningrad nicht einfach unerschütterlich stand, son­ dern daß es die Kräfte und das Selbstvertrauen des Fein­ des wertlos machte. [...] Die Mitarbeit des weißrussischen Autors am Blockadebuch soll solch eine Verneigung sein,

wenngleich verspätet.“ Die Frage liegt nahe, wie die Rundfunkarbeit trotz der ka­ tastrophalen Versorgungslage (Strommangel, Hunger/Durst) fortgesetzt werden konnte. Einzelne Erzählungen geben eine Teilantwort: „Als der Schriftsteller Lew Uspenski ei­ nes Tages im Winter zum Ra­ diosender Leningrad kam, sah er im Senderaum ein seltsa­ mes hölzernes Gerät, eine Art kurzstielige Harke ohne Zäh­ ne, in der Form eines großen T. Der Direktor J. L. Babusch­ kin erklärte ihm, das sei eine Stütze, mit deren Hilfe er sich vor dem Mikrophon aufrecht hielt, wenn er zu schwach war, um sich auf den Füßen zu hal­ ten. ‚Man muß lesen‘, sagte der Direktor. ‚In vielen tau­ send Wohnungen warten die Menschen auf die Stimme des Sprechers, und diese Stimme erhält sie vielleicht am Leben.‘ Das hölzerne T war kein Spiel­ zeug. Der Dichter Wladimir Wolschenin war im Sende­ raum vor Hunger zusammen­ gebrochen, nachdem er den Leningradern seine Verse vor­ getragen hatte. Er wurde nach Jaroslawl evakuiert, starb aber wenige Tage später. Alexander Jankewitsch las mit schwarzem Gesicht und schwer atmend Makarenkos Pädagogisches Gedicht vor dem Mikrophon, obwohl er so geschwächt war, daß Babuschkin sich bereithal­ ten mußte, für ihn einzusprin­ gen.“ Als im Januar 1942 der Rundspruch mangels Strom

Rundfunk & Museum 101 – August 2021

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