Seite:Rundfunk & Museum 101 (2021-08).pdf/32

Diese Seite wurde noch nicht korrekturgelesen.

Funkgeschichte auch in der Praxis nicht streng zu trennenden Arbeitsstilen: der fordernd-pathetischen ‚harten‘ Methode und einer überredend-reflektiven ‚wei­ chen‘ Methode. Als Kontrast zum heroisierenden, publizis­ tisch-stereotypen und poe­ tisch-archaisierenden hohen Stil erzielt der antipatheti­ sche Gesprächsstil, wie er von Ol’ga Berggol’c gehandhabt wird, eine überraschende Wirkung. [... Sie] erreicht mit den Mitteln ‚in­ timer‘ Kammer­ lyrik und deren ko nte x t u e l l e r Gegenüberstel­ lung zum Re­ depathos eine beinahe sus­ pekte Breiten­ wirkung: Im Bewußtsein der zeitgenös­ sischen Hö­ rer erscheint gerade ihre Dichtung als poetische Ve r k ö r p e ­ rung der Stimme des belager­ ten Lenin­ grad.“ Olga B e r g h o lz verlieh Leningra­ der Er­ Olga Fjodorowna Bergholz war eine russische Schriftstelle- f ahrung rin. Während des 2. Weltkrieges im belagerten Leningrad n i c h t in hat sie für den Zusammenhalt der Bevölkerung gekämpft. nur cc wiki commons dem Sinn beim Zuhörer das Gefühl ent­ stehen läßt, ganz persönlich angesprochen zu sein“. Zu­ gleich distanzierten die Kon­ kretionen in ihren Gedich­ ten das Publikum von seiner Wirklichkeit und schufen eine gemeinsame. Carin Tschöpl (1934­2016) resümiert in ih­ rer Habilitationsschrift (1984) über sowjetische Lyrikdebat­ ten der Nachkriegszeit: „Am Leningrader Rundfunk ope­ rierte man also mit zwei prin­ zipiell verschiedenen, wenn

Stimme, dass man sich ver­ standen wusste, sondern auch in dem Sinn, dass man mit ih­ rer Stimme eigene Erfahrung ausdrücken durfte. Der Lenin­ grader Juri Woronow schrieb im Rückblick: „Sie war die Stimme und Stütze der einge­ schlossenen Menschen. Wenn sie Briefe ins Große Land schrieben, legten sie häufig aus der Zeitung herausgeris­ sene Kapitel der Blockade­Po­ eme und ­Gedichte der Dich­ terin bei. Aus ihnen sprach die Wahrheit über das Durchlebte und unsere Gewißheit, daß Le­ ningrad standhalten würde.“ Olga Bergholz steht wie kaum jemand anderes für Leningrad in der Blockadezeit. Das zei­ gen Gedenktafeln unter ande­ rem am Haus des Rundfunks, Straßen­ und Parknamen, und ihr zentrales Gedicht „Nie­ mand wird vergessen, nichts wird vergessen.“ am Fuß der „Mutter Heimat“ auf dem Poskarjow­Friedhof, der wich­ tigsten Gedenkstätte an die Blockade. Zum 65. Jahrestag der Aufhebung der Blocka­ de (27. Januar 1944) wurden bei https://olgaberggolc.ru/ Gedichte von ihr ins Internet gestellt. Obwohl weithin re­ spektiert blieb ihr Leben of­ fenbar in den Vierzigerjahren stecken, denn danach wird nur noch von ihrem in diesen Jahren erworbenen Alkoholis­ mus berichtet. „In den letzten 16 Jahren umgaben ‚Schmerz, Wein, Einsamkeit‘ (laut ihrer Schwester Maria Fjodorowna,

Rundfunk & Museum 101 – August 2021

33