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Funkgeschichte in die letzte Reihe schob und daß gleich neben ihm, sollte es Ausfall geben, zwei Geiger standen und ein Trommler schon die Stöcke hob. Und ihr Konzert begann im Lärm der Kanonade, die wie gewöhnlich alles rings in Atem hielt. Ein unsichtbarer Sprecher aber sagte: Achtung! Sie hören Le­ ningrad! Unser Orchester der Blockade spielt.“ Auch der Leningrader Iosif Rajskin be­ tonte 2011, dass die Musik in Leningrad 1941/42 nicht auf die Leningrader Symphonie reduziert werden darf. Tatsächlich hatte die Stadtfüh­ rung im April 1942 wieder ein Konzert durchführen lassen, um die Moral der Stadt zu he­ ben. „Gegen Ende des Winters 1942 war der Leiter des Kunst­

referats der Stadt Leningrad noch ans Bett gefesselt. Er bat den Direktor des Rundfunkor­ chesters, Karl I. Eliasberg, zu sich. [...] [Der ebenfalls an Dys­ trophie leidende] Eliasberg brachte eine Liste der Mitglie­ der seines Orchesters mit; 27 Namen waren schwarz durch­ gestrichen. Diese Musiker wa­ ren gestorben. Die Namen der lebensgefährlich an Dystro­ phie erkranken Künstler waren rot unterstrichen; acht Namen waren nicht unterstrichen. Das waren die Gesunden.“ Durch einen Aufruf im Rund­ funk konnte man Ende März 30 Musiker zu Proben versam­ meln, um am 5. April 1942 das gewünschte Konzert zu geben. „Eliasberg erschien im Frack und gestärktem Hemd am Di­

rigentenpult. Darunter hatte er eine Steppjacke an. Er stand hochaufgerichtet vor dem Or­ chester, obwohl man ihn auf dem Weg zum Theater hatte stützen müssen. [...] Das Kon­ zert dauerte nicht lange. Die Musiker waren zu schwach.“ Bei den früheren Rundfunk­ konzerten hatte Eliasberg darauf geachtet, dass die Musikauswahl zum Gesund­ heitszustand der verfügbaren Musiker passte. Darauf konnte bei der der Leningrader Sym­ phonie natürlich keine Rück­ sicht genommen werden. Für die Aufführung wurden alle irgendwie verfügbaren Mu­ siker Leningrads mit Extra­ Rationen, so schmal sie auch waren, aufgepäppelt. Nicht alle, die mit probten, erlebten

Kutter transportieren über den Ladogasee Lebensmittel in die belagerte Stadt, September 1942. © RIA Novosti archive, #397 / Boris Kudoyarov / CC-BY-SA 3.0 Rundfunk & Museum 101 – August 2021

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