Wilhelm Löhe und die Amerikaauswanderung

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Wilhelm Löhe erreichte im Jahr 1840 ein Bittbrief aus Amerika. Der sächsische Pfarrer Wyneken suchte Pfarrer für die vielen Deutschen, die in diesen Jahren nach Amerika kommen. Zwar gäbe es lutherische Kirchen, aber viel zu wenige. Die Kolonisten ließen sich zerstreut in den Wäldern nieder und vereinsamten, denn sie hätten niemand, der ihre Kinder im Glauben unterrichten und sich um Kranke und Sterbende kümmern würde.

Dieser Bittruf war der Beginn von Wilhelm Löhes Aktivitäten. Die Heidenmission lag ihm am Herzen. Schon 1827 hatte Löhe in Fürth ein Missions- und Lesekränzchen gegründet. Durch gemeinsame Lektüre von Missionsschriften wollte man da über die Arbeit der Heidenmission informieren und durch Spenden für die Baseler Mission die praktische Missionstätigkeit fördern. Auf diese Weise lernte Löhe die von Graf Zinsendorf inspirierte Herrnhuter Missionsarbeit kennen.
Seine spezielle Idee war nicht nur einen Missionar zu entsenden sondern eine ganze Missionsgemeinde. Gruppen lutherischer Kolonisten sollten durch ihr Leben heidnischen Indianern ein Vorbild sein. Letztlich sollte das der Ursprung für die Siedlungen Frankenmuth, Frankentrost, Frankenlust und Frankenhilf im US-Bundesstaat Michigan werden.

Pastor Crämer und 13 Auswanderungswillige brechen auf

August Friedrich Crämer, (1812-1891), Pastor der ersten Auswanderergruppe und damit erster Pfarrer von Frankenmuth/Michigan

Über den Winter 1844/45 verbrachte eine kleine Auswanderergrupe die Wochenenden in Neuendettelsau mit ihrem Lehrer Wilhelm Löhe, der sie weiter in Luthers Theologie einführte und mit ihnen Liturgie einübte. Als Pfarrer dieser Gruppe bestellte Löhe einen gewissen August Crämer, den dessen Bruder in Oxford über das Vorhaben unterrichtete. Dieser Bruder war der Fabrikant Carl Crämer und wohnte in Doos (unweit der Stelle, wo heute die Herderbrücke über die Pegnitz führt), was damals zur Kirchengemeinde Poppenreuth gehörte. Im Nachfolgebau des ehemaligen Kernsteins unterhielt er ein Glasschleif- und Spiegelherstellungsunternehmen. [1] Das Crämersche Herrenhaus in Doos - und damit ein Haus in der Kirchengemeinde St. Peter und Paul Poppenreuth - war der Sammelpunkt dieser Auswanderergruppe, bevor man von Bremen aus mit dem Schiff losfuhr.

Die Gruppe bestand neben Pastor Crämer aus 13 Personen, von denen allein aus Roßtal sieben Personen stammten. Zum Reisegepäck gehörten auch zwei Glocken, die in der zukünftigen Missionskirche in der Neuen Welt zum Gottesdienst läuten sollten [2]

Die Auswanderungswilligen benötigten zuerst einen sog. Passage-Akkord, d.h. eine Vereinbarung mit einem Schiffsreeder, über die Beförderung von Deutschland nach Nordamerika. Dazu gab es Agenten vor Ort, die dies vermittelten. In Fürth hatte der Kaufmann Jakob Max Andreas Löhe, der Bruder Wilhelm Löhes, so eine Auswanderungsagentur. [3] Von ihm konnte sich Wilhelm Löhe in Auswanderungsdingen fachkundigen Rat einholen.
Sodann mussten die Auswanderungswilligen ihre Absicht öffentlich in der Zeitung bekannt geben, damit Gläubiger ihre Forderungen geltend machen konnten.

Komplikationen auf dem Weg in die Neue Welt

Dieser Aufbruch in die Neue Welt war mit etlichen Komplikationen verbunden. Zwar hatte die kleine Auswanderergruppe in Kapitän Johann Friedrich Volkmann (1802-1877) einen erfahrenen Seemann an Bord [4] In Bremerhaven sollte das Schiff nochmal anhalten, um weitere Passagiere aufzunehmen. Aber bereits nach vier Stunden endete die Fahrt, denn der betrunkene Lotse hatte das Schiff auf eine Sandbank gesteuert. Erst am nächsten Morgen konnte die Fahrt fortgesetzt werden. Crämer nutzte die Zeit, um vier Brautpaare zu trauen. Zuhause hätten sie unter den restriktiven bayerischen Gesetzen keine Heiratserlaubnis bekommen. [5]

Die Fahrt über den Ozean dauerte 50 Tage, in denen Crämer die Auswanderer in Englisch unterrichtete. Der Kapitän hatte freundlicherweise dafür gesorgt, dass die fränkische Gruppe im Mitteldeck unter sich bleiben konnte. Jeden Sonntag hielt Crämer einen Gottesdienst. Zu guter Letzt verliebte er sich auf dem Schiff noch in eine ledige Mutter aus Bremerhaven. Jedoch waren auf dem Schiff die tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnisse nicht bekannt. Man hielt ihren Jungen als Kind der Schwägerin. Als Crämer dann um ihre Hand anhielt, fand das nicht unbedingt das Wohlwollen seiner kleinen Auswanderergemeinde. Am Tag bevor sie alle an Land gehen konnten, verstarb ein zweijähriges Mädchen der fränkischen Auswanderer an den Blattern. Der Kapitän riet zu einer Seebestattung, um bloß keine Schwierigkeiten mit den Einwanderungsbehörden zu bekommen.

Die Ankunft in New York feierten die Emigranten mit einem Lob- und Dankgottesdienst auf dem Schiff. Zwei Tage später bestiegen sie das Dampfschiff „Knickerbocker“, das sie nach 12 Stunden Fahrt auf dem Hudson River nach Albani brachte. Danach sollte es mit der Eisenbahn nach Buffalo gehen. Kurz nach der Abfahrt – die Auswanderer hatten gerade angefangen „Nun danket alle Gott“ zu singen – stieß der Zug mit einem Güterzug zusammen. Also musste man wieder zurück nach Albani. Dort gab es aber dann Streit. Crämer sah in dem Zusammenstoß eine Warnung und wollte die Fahrt dann doch lieber auf einem Kanalboot fortsetzen. Aber die meisten seiner Gemeindemitglieder widersprachen. Die Zugfahrt sei billiger und führe schneller zum Ziel. Crämer schimpfte, weil er sich nicht durchsetzen konnte und drohte, er wolle nicht mehr ihr Pfarrer sein.
Am Erie-See angekommen, gingen die Verwicklungen weiter. Die Frauen kauften sich dort, wie sie es von den ansässigen Deutschen gesehen hatten, breitkrämpige Sonnenstrohhüte. Natürlich gelangte diese Nachricht sofort nach Neuendettelsau. Dort befürchtete man schon, sie wollten ihre fränkische Tracht (die dunklen Kopftücher und sonntags die Bänderhauben) aufgeben und sich wie amerikanische Städter einkleiden. Ein paar Tage später fuhren sie mit dem Dampfer nach Detroit und von dort mit einem kleinen Segelschiff um den „Daumen von Michigan“ herum nach Lower Saginaw (heute Bay City). Dort blieb aber der Nordwind aus, der das Schiff nach Saginaw treiben sollte und die fränkischen Abenteurer beschlossen, das Schiff wie ein Kanalboot die letzten fünfzehn Meilen nach Saginaw zu ziehen. Schließlich am Ziel angekommen, begannen die Männer im Urwald eine Blockhütte zu bauen, die alle Einwanderer aufnehmen konnte. Danach bauten sie ein größeres Holzhaus, das als Pfarrwohnung, Kirche und Schule dienen sollte.

Die ursprüngliche Absicht von Wilhelm Löhe und auch von August Crämer war es, ein fränkisches Dorf in der Neuen Welt zu erstellen. Alle Häuser sollten entlang der Straße stehen, die Kirche in der Dorfmitte. Aber die Siedler machten ihnen einen Strich durch ihre Planungen. Sie wollten, wie sie es von anderen Siedlungen gesehen hatten, ihre Wohnsitze draußen bei ihren künftigen Feldern und Wiesen haben. Die Siedler emanzipierten sich von ihren Autoritäten und setzten schließlich ihre Vorstellungen durch (Zur Freude Löhes bauten die Frankentroster ihre Häuser an der Dorfstraße bei der Kirche und nicht auf ihre Farmen).

Löhe kritisiert Amerikanismus

Entscheidender als diese Auseinandersetzungen mit den Auswanderern war, dass in Löhes Vorstellung von Kirchenleitung, der Klerus die entscheidende Macht innehatte. Weil aber manche der neuen Gemeinden sich als selbst regierende Körperschaften organisierten, führte Löhe Klage über „falsche demokratische Prinzipien“, welche in Amerika gereift seien. Nach dem in Amerika die Missouri-Synode gegründet worden war, kam es zu Auseinandersetzungen mit Neuendettelsau. Besonders das Fehlen eines Bischofsamtes und die Gleichberechtigung der Laien mit den Geistlichen in der Synode missbilligte Wilhelm Löhe als „Demokratismus und Amerikanismus“. Letztlich war dies eine theologische Frage, ob Christus seiner Kirche ein Amt gegeben hat, das Versöhnung predigt und die Sakramente verwaltet und dazu noch das Bischofsamt oder ob dieses Bischofsamt nur menschlichen Ursprunges sei.

Löhe gegen Integration

Die Auswanderer aus Franken hatten eine ausführliche Gemeindeordnung mitgebracht. Dabei wurden sie verpflichtet, eine „ewig deutsche Gemeinde“ zu gründen. Ihre Prediger und Lehrer sollten ausschließlich auf Deutsch predigen und lehren. Auch ein Abweichen von der lutherischen Konfession wurde mit der Trennung von der Gemeinde bestraft. Es sollte eine Bürgergemeinde entstehen, in der nur Lutheraner lebten. Löhe hatte offenbar eine bayerische, lutherische Kirche als Exklave mitten im Urwald von Michigan vor Augen. Diese Pläne waren arg romantisch, vielleicht sogar naiv. Warum sollte man nicht die englische Sprache erlernen? Da waren dann freilich schon die Strohhüte ein Stein des Anstoßes. Im Frühsommer 1846 kamen noch einmal 90 Einwanderer dazu. Die meisten waren Verwandte, darunter auch Eltern der ersten Siedler. Sie waren erschrocken über die bescheidenen Anfänge und mussten zunächst ihren Platz in den Hütten der ersten Ankömmlinge finden. Oft mussten sich zwei oder gar drei Familien dort hineinpressen. Man wusste aber in Franken und ebenso in Frankenmuth, „dass nicht alle nur aus Liebe zur Mission gekommen waren ... An den Morgen- und Abendandachten nahmen sie nicht teil, aber am Sonntag kamen sie alle zum Gottesdienst.“

Höfleser Bauerstochter soll Frauenmangel in Amerika beheben

Bei den folgenden Auswanderern nach Amerika war auch die Margaretha Sippel aus Höfles (heute Hof der Familie Kretschmann) mit dabei. Sie wird in den Auswandererlisten als ledige Bauerntochter geführt. Angeblich war zuvor schon ein Verwandter von ihr ausgewandert. Dieser hatte aber seine Frau bei einem Zugunglück verloren. Daraufhin schrieb er nach Deutschland und fragte nach einer fränkischen Frau in der Heimat an. 1852 machte sich die Höfleserin dann auf die große Reise in die Neue Welt. Von einer arrangierten Heirat war aber damals noch nicht die Rede.

Indianer-Mission

Relief "Indianermission" am Löhe-Denkmal, Kirchenplatz Fürth

Der Pfarrer der Auswanderergemeinde, August Crämer, setzte allen Ehrgeiz darein, in absehbarer Zeit des Indianischen soweit mächtig zu sein, dass er auf fremde Dolmetscher-Hilfe verzichten könnte. In den späteren Jahren nahm er gelegentlich seinen inzwischen etwa neun Jahre alten Sohn Henry mit. Der war mit den Indianerkindern aufgewachsen und hatte mit ihnen die „Internatsschule“ besucht. Anfang Juni 1846 konnte der Unterricht beginnen. Nun merkten die Frankenmuther, was sie an ihrer zuerst so verachteten Pfarrfrau hatten. Sie war es, die sich der ankommenden, verfilzten und verlausten Kinder annahm. Sie musste sie waschen, entlausen und in saubere Kleider stecken, ihnen auch ein zivilisiertes Benehmen beibringen. Am Schluss sagten sie sogar „Mutter“ zu ihr.

Will man den Erfolg der Mission an Zahlen ermessen, so war das Ergebnis nicht sonderlich aufregend. In den Kirchenbüchern von Frankenmuth findet man 32 getaufte Kinder und zwei erwachsene Frauen. Sie kamen alle aus dem Stamm der Chippewas, wohnten im Blockhaus des Pfarrers und besuchten in Frankenmuth die Schule. Die ersten drei Indianerkinder wurden am 27. Dezember 1847 getauft. Der Wegzug der Indianer sowie eine verheerende Windpockenepidemie, der 1850 fast alle Indianerkinder in Frankenmuth zum Opfer fielen, setzte aber der Indianermission dort ein Ende. Unter dem Strich wird man konstatieren müssen, dass das Modell der Missionsgemeinde in der großen Missionsgeschichte eher eine Episode geblieben ist.

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. (1849: Fronmüller Cronik nach FürthWiki 1849) Am 13. Februar wurde die Wahl des Dr. Morgenstern dahier als Abgeordneter für den Wahlkreis Erlangen-Fürth von dem Landtag als gültig erkannt, dagegen die des Bernhard Ulherr für ungültig. Ersterer wurde als Deputirter einberufen; für den letzteren wurde Carl Crämer aus Doos gewählt.
  2. Hans Rößler und Matthias Honold „Wilhelm Löhe und die Amerika-Auswanderung 1841 – 1872“ in „Neuendettelsauer Hefte Nr. 5“, 2008, Seite 21; eine Glocke aus der Nürnberger Glockengießerei Johann Ernst Kärnlein hängt noch heute im Kirchhof der St. Lorenzkirche in Frankenmuth und läutete erstmalig in der Neujahrsnacht 1845/46 in Frankenmuth.
  3. siehe auch Anzeige J.M.A. Löhe, in: Königlich Bayerisches Intelligenzblatt für Mittelfranken: 1851, Spalte 1173/1174
  4. er war später in der Reihe der Auswandererkapitäne sogar zu einer volkstümlichen Gestalt geworden, der besonders bei alleinreisenden Damen aufgrund seiner Frömmigkeit beliebt war. Ihm wurde z.B. als „Damen-Kapitän“ in der Literatur ein Denkmal gesetzt Philipp Kniest: Der Damen-Kapitän, in: Wind und Wellen, Berlin 1898, S. 47-89.
  5. in Bayern machte das Gesetz zur Verehelichung von 1834 (gültig bis 1868) die Ehegenehmigung vom Nachweis eines sicheren und die wirtschaftliche Unabhängigkeit garantierenden Einkommens abhängig. Und dieses konnten die jungen Auswanderer-Paare nicht nachweisen.

Siehe auch