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Steckenpferde unserer Lehrer

„... und das oezdanke ich Meinen^chMettezUn^en!" O St. R. Müller (Hum. Gym.) erzählt

Zum erstenmal in meinem Leben — ich ge­ höre ja nicht zu den Sportgrößen oder Film­ stars — hat mich eine Reporterin um ein Interview gebeten. Wie ich mich da fühlte! Aber schon war die Geschichte schwierig: Ich sollte nämlich beichten, womit ich mir das Leben verschönere — außer meinem Be­ ruf — womöglich, in historischer Reihen­ folge, wirklich alles.

Nun war ich vermutlich schon als kleiner Junge ein leidenschaftlicher Steckenpferd­ reiter (Hürdenreiter wahrscheinlich, ich soll mir an Hecken und Zäunen nicht selten die Hosen zerrissen haben); und so tummelte ich nach dem hölzernen später die verschie­ densten andern Steckenpferde. Das gäbe einen Roman: so will ich nur eine solche Be­ schäftigung herausgreifen, die mir viel Be­ reicherung meines Lebens gegeben hat. Meinen Vater, dessen Lebenswunsch der Forstberuf gewesen wäre, der aber dem Le­ benswunsch seines Vaters nachgegeben und ein sehr guter Jurist geworden war. zog es, schon in späterem Alter, doch übermächtig zur Natur hin. Und so begann er, angeregt durch eine Schmetterlings-Ausstellung in München 1907, eine Schmetterlingssamm­ lung, die er schnell vergrößerte. Und ich mit meinen flinken Beinen und scharfen Augen half ihm dabei: im Gebirg auf bösen Schuttreißen die zarten Erebien fangen: die kaum sichtbaren Spanner und Eulen an den Bretterwänden der Almhütten entdecken: nachts an den Bäumen Apfeläthersyrup an­ streichen, der die Nachtfalter lockte; die sonderbarsten Raupen suchen, das rechte Futter zusammentragen. Um Nußbaumblät­ ter für zentralasiatische Riesenspinner, de­ ren Raupen unheimlich gefräßig waren, ra­ delte ich täglich durch ganz München von Bogenhausen nach Talkirchen. Der Stolz auf die väterliche Sammlung, an der ich so mitwirkte, steigerte recht kräftig mein 12 jähriges Wertgefühl. Das war ein erster Gewinn. Wichtiger war — was ich freilich erst später ganz merkte — daß ich über der Schmetterlings]eidenschaft tausend andere Dinge zu sehen, ja scharf zu (beobach­ ten lernte: da waren z. B. die Pflanzen und die Futterplätze, der immer wieder andere Boden, auf dem die Pflanzen wachsen und dementsprechend nur die eine oder die an­ dere Schmetterlingsart zu finden ist: der ganze große Zusammenhang der Natur über­ haupt. Später entdeckte ich neue merkwür­ dige Zusammenhänge und die Veränderun­ gen, welche die Kultur in dieses Gewebe bringt: wenn ich etwa in Jahrzehnten das langsame Eindringen von Steppenschmetter­ lingen aus dem Osten entlang den steppen­ ähnlichen Bahndämmen beobachtete: oder das Verschwinden von Arten bei uns, weil mit zunehmender Rationalisierung der Bo­ denbearbeitung ihre Futterpflanze ver­ schwand oder mitten in der Entwicklung der Raupe gemäht wurde: oder das Auftre­

ten und die Bekämpfung der großen Schäd­ linge. Nach dem 1. Weltkrieg führte mich das Schmetterlingssammeln in fremde Länder: in die Südalpen, nach Spanien, Ungarn, auf den Ba]kan. Es führte mich zusammen mit interessanten Menschen, auf die ich sonst nie getroffen wäre: dem Erforscher zentral­ asiatischer Gebirge Merzbacher, dem Mün­ chener Entomologen (Insekten-Fachmann) Korb, der jahrelang die Wüsten-und Step­ pen Innerasiens und Vorderasiens durchsam­ melt hatte, dem russischen Biologen Olsufieff; in Albanien konnte ich mich 1925 einer Gruppe französischer Höhlenforscher lose anschließen; einen spanischen Entomo­ logen mußte ich um seine Hilfe beim Be­ stimmen neuer Arten von Kleinschmetter­ lingen bitten. Nach dem Tode meines Vaters war es frei­ lich schwer, die große Sammlung weiter unterzubringen und zu pflegen, da ich in je­ nen mageren Jahren nach 1930 als Lehrer auf einem Landschulheim weder Zeit noch Mittel genügend zur Verfügung hatte. So stiftete ich schließlich die Sammlung der zoologischen Staatssammlung in München, wo sie wissenschaftlichen Zwecken würdig dienen konnte. Bei der Zerstörung dieser Sammlung in einer Bombennacht des letzten Krieges ist sie dort mit untergegangen.

Auf eine seltsame Weise verflocht sich nun im 2. Weltkrieg mein Schmetterlingssam­ meln mit den Kriegserlebnissen. Im Früh­ sommer 1942 war ich durch eine Umdispo­ nierung der Truppenbewegungen etwa drei Wochen in Kiew fast mein eigener Herr. Ich wußte, daß die biologischen Sammlun­ gen der Universität — Schaustücke für den .,Intourist“-Betrieb — zu den ersten der Welt zählten, vor allem weil dort die Rie­ sensammlungen einstiger russischer Fürsten zusammengezogen waren. So sahen mich vie­ le Vormittage unter diesen Schätzen und bald bekam ich auch Fühlung zu den rus­ sischen Beamten, von denen ich die meist tragische Geschichte bedeutender Wissen­ schaftler erfuhr, deren1 Namen in der vor­ bolschewistischen Zeit einen guten Klang ge­ habt hatten. In den endlosen Wartezeiten der Truppe in den Stellungen der Don-Front kürzten mir so oft Langeweile oder Sorgen meine Beobachtungen einer Insektenwelt, die ich sonst ja nur von den Sammlungsstücken her kannte.

1943 führte mich der Krieg nach Griechen­ land und auf die Insel der Ägäis. Wieder kürzten die langen Wartezeiten die schön­ sten Naturbeobachtungen, die sich von allen Seiten nur so herandrängten. Aber nun be­ kam der Kriegsdienst und die Entomologie auch einen unmittelbaren Zusammenhang: Feind Nr. 1 war ja nicht der Tommy auf Cypern. sondern die Malaria. Gegen die Ma­ lariamücke und ihre Brutstätten den Kampf erfolgreich durchzuführen, war eine der

wichtigsten Aufgaben. So war es garnicht verwunderlich, als eines Tages ein mir von meinem Vater her bekannter bedeutender Entomologe als Inspizient von der höchsten Sanitätsstelle in Saloniki her auftauchte. Aus dem gefürchteten Inspektions-Besuch wurde schnell ein freundlicher Kontakt zweier Gleichgesinnter und meine Offiziere hielten zum erstenmal das Schmetterlings­ fangen doch für etwas ganz Nützliches.

Noch mehr fanden sie das im Spätherbst und Winter 44/45, als die Balkantruppe um den Anschluß an die Heimat in den Hochgebir­ gen Westserbiens und Bosniens ringen muß­ te. Überall kamen wir da in die Gebiete, in denen ich 1925—27 Schmetterlinge ge­ fangen hatte. Wenn auch oft die Karten fehlten oder höchst unzureichend genau wa­ ren, so fühlte ich mich nun ganz heimatlich, kannte zudem die Landessprache und das Wesen der Einwohner. Ich sehe heute noch das verblüffte Gesicht eines Generals bei der Lagebesprechung, als ich auf seine Fra­ ge, wieso ich denn diese „vertrackten Ge­ birge“ so gut kenne, antwortete: ..Da habe ich überall Schmetterlinge gefangen vor dem Krieg, Herr General“. „Na, manchmal ist auch so etwas militärisch zu verwenden“, meinte er, sah mich aber scharf an, ob ich wirklich so einer sein könnte. Von da ab blieb ich abgestempelt als „der Naturfor­ scher“, obwohl meine Truppe meist schnell von einer Division zur anderen hinüberselte. Das erfuhr ich erst im Februar 45. als man mir für eine Sonderaufgabe im Hochgebirge Kaukasier und Albanier unter­ stellte. Mein Gesicht bei der Besprechung zeigte wohl wenig Freude; der IA nämlich meinte entschuldigend: „Sie als Naturfor­ scher, dachten wir, können doch besser mit diesen halbcxotischen Völkern umgehen als die andern.“ Das war nun freilich eine nicht T^nz zulässige Erweiterung des Umfangs der Entomologie, aber was blieb mir übrig als sie lächelnd dienstlich zur Kenntnis zu neh­ men.

Nun ist’s schon lange her, seit ich zum letz­ ten Mal auf Schmetterlingsjagd ging: die Sammlung selbst besteht nicht mehr. Aber ich blicke auf eine große Bereicherung mei­ nes Lebens auf vielen Gebieten zurück und wüßte mir mein Leben ohne diese garnicht vorzustellen. Eigentlich ist das überraschend, da ja zunächst nur der Wunsch meines Va­ ters mich in dies Gebiet führte und da zahl­ reiche andere Mußebeschäftigungen, die mehr in meinen eigenen Anlagen wurzelten, ständig konkurrierten: Zeichnen und Pho­ tographieren, Musik, zuzeiten auch der Sport. Was mich aber im Rückblick auf das Schmetterlingsammeln immer mit einer besonderen Wärme erfüllt, ist vor allem, daß es in meiner Jugend eine sehr starke und zudem mich mit dem Stolz des Helfen­ Könnens erfüllende Bindung an meinen Va­ ter bedeutete. ■ Jahrgang 3/2 Seite 3