Gänsberg: Unterschied zwischen den Versionen

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[[Bild:Gänsberg.jpg|thumb|Der Goonsberch um 1900]]
 
[[Bild:Gänsberg.jpg|thumb|Der Goonsberch um 1900]]
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Der '''Gänsberg''' ([[Fürther Sprache|färdderisch]]: "Goonsberch") war ein Fürther Altstadtteil. "Gänsberg" ist der Flurname für den Uferberg in Erstreckung zwischen [[Königstraße]] und [[Jüdischer Friedhof|jüdischem Friedhof]]. Der Name leitet sich von den ''Gänsen'' ab und nicht - wie um [[1700]] herum erfunden - vom ''Gehen''. Als eine der ersten Erwähnungen dieser bis heute geläufigen Bezeichnung ist bereits der März des Jahres [[1449]] zu nennen. Um [[1700]] versuchte man, den Namen durch die an die erfundene Definition angepasste Phantasiebezeichnung ''Gänger'' oder ''Gängenberg'' zu verdrängen. Im Bereich des Gänsbergviertels war von [[1617]] bis zum Jahre [[1938]], als es dem Naziterror zum Opfer fiel, das Zentrum der [[Fiorda|Jüdischen Gemeinde]] von Fürth - der [[Schulhof]].
  
Der '''Gänsberg''' ([[Fürther Sprache|färdderisch]]: "Goonsberch") war ein Fürther Altstadtteil.  
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Beschreibung des Gänsbergviertels anhand eines Stadtspaziergangs im Jahr 1933 von Dr. [[Eduard Rühl]], ausgehend von der [[Maxbrücke]]:<br>
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:''Beim Rückweg biegen wir etwas rechts aus und steigen diesmal die [[Bergstraße]] hinauf, die der Eingeborene "Gänsberg" nennt. Das Häuser- und Straßengewinkel, das sich längs dieser findet, in der wir vielleicht die älteste Durchgangsstraße sehen dürfen, ist von ganz anderer Art als etwa die [[Königstraße]] oder der [[Marktplatz]]. Hier eine gewisse Weite und Behäbigkeit, dort (am Gänsberg) ist alles eng und dürftig und bescheiden. Während wir drüben an Marktplatz - Königstraße einen ständigen Verschönerungsprozess beobachten können, vom Fachwerk- bis zum dekorativen Empiregiebel, scheint hier nach dem Wiederaufbau von 1634 Entwicklung und Zeit stehengeblieben zu sein. Wir stehen im ursprünglichsten Teile von Alt-Fürth. Und doch hat, und das ist noch nicht so lange her, dieser eine Stadtteil sein äußeres auch einmal verändert. Zahlreiche Häuser dieses Viertels sind nämlich verschiefert und zwar nicht nur auf der Wetterseite, sondern allseits. Dieser Wechsel kann erst nach Erbauung der Eisenbahn erfolgt sein, denn Schiefer gibt es bei uns nirgends; erst die Eisenbahn brachte die Möglichkeit, dieses Werkmaterial verhältnismäßig billig zu bekommen. Wenn nun durch diese Verschieferung das alte Fachwerk fast restlos zugedeckt wurde und Schiefer einer malerischen Wirkung nicht gerade entgegenkommt, so kann doch auch diesen Häusern, besonders wenn sie irgendwie zu einer Gruppe zusammengefasst sind, ein gewisser Reiz nicht abgesprochen werden. Schreiten wir nun zum Beweise links durch den [[Schulhof]] (Hof vor der Synagoge), zu dem der Spitzturm der [[Kirche St. Michael|Michaelskirche]] herübergrüßt. Schon stehen wir wieder in der Königstraße und jetzt fällt uns auf, das auch auf sie die Verschieferung übergegriffen hat (...)''<ref>Dr. Eduard Rühl: Das Gesicht von Alt-Fürth. In: Fränkische Heimat, Sonderheft, 12. Jahrgang, Juni 1933, S. 192</ref>
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== Entstehung ==
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Die bäuerliche Prägung Fürths bestimmte lange das Stadtbild, ehe im 16. Jahrhundert das Handwerk und die Gewerbetreibenden im Ortsbild dominanter wurden. Diese Entwicklung ging einher mit der Ansiedlung von Glaubensflüchtlingen aus den Niederlanden und Frankreich und dem Zuzug von Juden, deren Ansiedlung u.a. in Nürnberg untersagt war. Letzteres war zumindest von dem Bamberger Domprobst und dem Ansbacher Marktgraf gewünscht bzw. bewusst als Ansiedlungspolitik betrieben worden, um z.B. die Einnahmen von Schutzgeldzahlungen zu erhöhen oder den Wachstum des Ortes durch Handel zu fördern<ref>Bernd Windsbacher:  Geschichte der Stadt Fürth, C.H. Beck, München, 2007, S. 31</ref>.
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Steinerne Zeitzeugen der bäuerlich geprägten Zeit sind heute noch die bestehenden Bauernhöfe, z.B. im Bereich der [[Gustavstraße]] der [[Rednitzhof|Rednitz]]- und [[Traubenhof]]. Mit den Zuwanderungswellen kamen ebenfalls neue Gewerbearten und Berufsgruppen nach Fürth, so z. B. die Gewerbearten der Gieß- und Kohlehütten sowie Messingbetriebe, Tabakanbau, Uhr- und Brillenmacher. Am förderlichsten für das Wirtschaftsleben war, insbesondere im 18. Jahrhundert, die Konkurrenz zu Nürnberg.  Durch eine restriktive Auslegung der Zunftordnung wurde sowohl den Juden als auch vielen anderen Handwerkern die Ausübung ihrer Tätigkeit in der Reichsstadt Nürnberg untersagt, so dass diese sich in Fürth – vor den Toren Nürnbergs - ansiedelten und damit das städtische Wirtschaftsleben deutlich beförderten. Diese berufliche Verdrängung der landwirtschaftlichen Betriebe spiegelte sich auch in der Entwicklung des Gänsbergs wieder, in dem die bäuerlichen Betriebe zunehmend räumlich aus dem Siedlungskern an den Rand verdrängt wurden.
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Siedlungskern der Altstadt war zunächst der [[Königshof Fürth|Königshof]] und die [[Michaeliskirche]], die sich auf der Terrasse im Zusammenfluss von [[Rednitz]] und [[Pegnitz]] befand. Die Grenzen der mittelalterlichen Siedlung befanden sich vermutlich zwischen der heutigen [[Ammonstraße]], der oberen [[Fischerberg|Fischergasse]] und [[Waagstraße|Waaggasse]]. Die genaue südliche Abgrenzung ist umstritten, lag aber vermutlich hinter der ehem. [[Synagoge]] im Bereich der heutigen [[Lilienstraße]].
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Der Chronist Wilhelm Funk schriebt in den Fürther [[Fürther Geschichtsblätter|Heimatblättern]] [[1952]], dass die Besiedlung des Gänsbergs vermutlich erst im 17. Jahrhundert erfolgte<ref>Wilhelm Funk: Zur Stadtentwicklung von Fürth. Königshof - Markt - Stadt. In: Fürther Heimatblätter, 1952/1, S. 1 - 20</ref>. Die Ortsentwicklung vollzog jedoch eine jähe Zäsur durch die nahezu vollständige Zerstörung der Siedlung am [[8. September]] [[1634]] während des 30-jährigen Krieges durch das kroatische Regiment. Bis auf wenige Häuser aus Stein, wie z.B. die [[Michaeliskirche]], das [[Geleitshaus]] und die [[Synagoge]], wurden nahezu alle Häuser in Fürth nahezu vollständig zerstört. Auch die Bevölkerung halbiert sich fast auf knapp 800 Menschen<ref><ref>Bernd Windsbacher:  Geschichte der Stadt Fürth, C.H. Beck, München, 2007, S. 31</ref></ref>. Erst mit dem Friedenschluss [[1648]] begann in Fürth der Wiederaufbau, wobei sich dabei die massive Bauweise mittels Steinen im Hausbau durchsetzte.
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Die erste größere Ortserweiterung erfolgte bereits [[1672]]. Dabei wurden Flächen des Ansbacher Markgrafen südlich des [[Geleitshaus]]es überwiegend an Juden verkauft, so dass bis [[1720]] das Gelände bis zur heutigen [[Gartenstraße]] nahezu vollständig bebaut war. Der Wiederaufbau erfolgte in einem geschlossenen System, in dem sich benachbarte Häuser häufig eine Brandmauer teilten. Die Bebauung war in einer typisch „fränkisch engen Reihe“ erfolgt, die lediglich schmale Zwischenräume für den Brandschutz und den Regenablauf zuließen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wird statt des geschlossenen Systems im Städtebau das offene System Fuß fassen, dessen Ansätze heute noch in der Villenbebauung in der [[Hornschuchpromenade]] zu erkennen sind.
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Zentrum der Altstadt war der [[Marktplatz]]/ [[Grüner Markt]], an dem sich später mit die wichtigsten öffentlichen Häuser befanden – das Amtshaus und das [[Geleitshaus]]. Geistliche Zentren bildete der Platz um die [[Michaeliskirche]], deren Ursprung ein ummauerter Friedhof war, und der Synagogenplatz, der im 17. Jahrhundert seinen Ursprung hatte. Beide Plätze waren nicht direkt an die Hauptstraßen des Ortes angebunden, sondern nur über zum Teil verwinkelte Gassen zu erreichen. Die noch bestehenden Bauernhöfe wurden in der Folgezeit meist umgebaut und entwickelten sich im Netzwerk der Straßen häufig zu Sackgassen.
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Mit zum Teil bis zu 40 Hausgrundstücken pro Hektar wies die Altstadt mit die engste Parzellierung auf. Ab [[1670]] versuchten zum Teil die Territorialherren in Ansbach, Bamberg und Nürnberg systematisch durch verschiedene Initiativen Einfluss auf die Stadtentwicklung zu nehmen. So wurde u. a. durch die Dompropstei in Bamberg im späten 17. Jahrhundert die verwinkelte und noch typisch altstädtische [[Schindelgasse]] an christliche und jüdische Bauwillige vergeben zur Verbesserung der Erschließung der Gegend, während gleichzeitig die Markgrafen von Ansbach ihren Hoheitsbereich um das ehem. [[Brandenburger Haus]]es – dem heutigen [[Rathaus]] – gradlinig ausbauten, z.B. durch die Besiedlung der heutigen [[Ludwig-Erhard-Straße]] ([[Sternstraße]]), [[Wasserstraße|Wasser]]- und [[Gartenstraße]], sowie den Bereichen der [[Mohrenstraße]] und [[Obstmarkt]]. Die Ausdehnung nach Osten wurde um [[1700]] von Bamberger Juden initiiert, die die ersten Häuser auf dem [[Königsplatz]] errichteten und von dort aus die Häuser an der Baulinie des Brandenburger Hauses ausrichteten. In der Folge entstand dann die heutige [[Bäumenstraße|Bäumen]]- und [[Alexanderstraße]] als völlig geradlinige Straßenzüge mit parallelen und typologisch einheitlichen Häuserzeilen.
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Während des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Stadt rasant weiter, allerdings konnte sich die Stadt ausschließlich Richtung Süden und Osten weiterentwickeln. Durch die Randlage im Mündungsbereich zweier Flüsse vermochte sich der Siedlungskern nur einseitig weiterentwickeln, da die Bereiche nördlich und westlich häufig als Überschwemmungsgebiet nicht in Frage kamen.
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== Wohn- und Arbeitsplatz Gänsberg ==
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Infolge der großen Zuwanderung wuchs das „''nach der Einwohnerzahl nur mittelgroße Fürth … in seinem städtebaulichen Habitus als Teil der Agglomeration in großstädtische Dimensionen hinein''.<ref>Heinrich Habel: Denkmäler in Bayern – Stadt Fürth V.61. Karl-M.-Lipp-Verlag, München, 1994, S. XVII</ref>“ Das heißt, dass die zum Teil drastische Bevölkerungsvermehrung mit der Wohnraumbeschaffung in vielen Fällen kaum mithalten konnte. Dies galt insbesondere für die sozial schwächeren und ärmeren Schichten der Bevölkerung, die für die Produktion von Gütern in zum Teil extrem prekären Arbeitsverhältnissen ihr Auskommen verdienen mussten. Wohnten um [[1700]] noch ca. 6.000 Menschen in Fürth, waren es keine 100 Jahre später bereits doppelt soviele Menschen. Bis [[1900]] hatte sich die Bevölkerung innerhalb von nur 200 Jahren fast verzehnfacht. Der Zuzug der Menschen wirkte sich u.a. in der Stadtentwicklung vor allem baulich dadurch aus, dass eine massive Verdichtung der bestehenden Siedlung am Gänsberg vollzogen wurde. In vielen Hinterhöfen entstanden zusätzliche Gebäude, bestehende Gebäude wurden aufgestockt und selbst die Haupthäuser der Eigentümer wurden so umgebaut, so dass sie weitere Mieter aufnehmen konnten. Auf diese Art wurden besonders im späten 17. und im 18. Jahrhundert viele Grundstücke in ihrer Bausubstanz verändert um Raum zu schaffen. Schon [[1799]] stellte der Zeitgenosse J. K. Bundschuh das alte Fürth als völlig übervölkerte Ansiedlung dar: „''Die große Anzahl der Einwohner (steht) in keinem Verhältnisse mit der Häuserzahl – so wohnen gewöhnlich fünf, sechs, zwölf bis fünfzehn Familien in einem Hause und im sogenannten langen Hause sogar 36 Haushaltungen''.“<ref>Heinrich Habel: Denkmäler in Bayern – Stadt Fürth V.61. Karl-M.-Lipp-Verlag, München, 1994, S. XVII</ref>  Gemeint war hier das „Lange Haus“ an der [[Baldstraße]] aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, einem Vorläufer der Mietskaserne, dass allerdings um [[1900]] durch eine Mietshausgruppe ersetzt wurde.
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Maßgeblich für die Baudichte im Stadtkern waren letztendlich eine Korrelation des hohen Bodenwertes und der Anspruch einer hohen Rentabilität bei optimaler „Mietshausbauweise“. Deshalb wurde abhängig vom Grundstücksanteil der Gärten und Hofräume stets die größtmögliche Verdichtung angestrebt. Tendenziell bestand von Seiten des Eigentümers der Anspruch die hohen Erschließungskosten niedrig zu halten, wodurch schmale und tiefe Baufelder und der Bau von Rückgebäuden einen hohen Stellenwert genoss. Dabei spielte die Funktion eines Gebäudes keine Rolle. Ein weiterer begünstigender Faktor der dichten Bebauung mag auch der fehlende öffentliche Nahverkehr dargestellt haben, die die Erschließung von Wohnraum und Arbeitsplatz notwendig machte. Eine Trennung von Arbeitsplatz und Wohnraum war bis weit in das 19. Jahrhundert nicht üblich, so dass die Menschen stets dort wohnten, wo sie arbeiteten.
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Die Folgen der Verdichtung waren fatal. Die verbliebenen Höfe und Zwischenräume zwischen einzelnen Gebäuden waren häufig zu klein, um deren Funktion als Belüftung und Belichtung gerecht zu werden. Die Rückgebäude der Altstadt waren meist schmucklose Kleinhäuser aus Backstein in regloser Stellung, einzig mit dem Ansinnen, die ehemalige Hoflage auszufüllen. Ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde das klassische Wohnhaus durch sog. Mietshäuser abgelöst, während man gleichzeitig bemüht war die Zusammensetzung der Bewohner nach sozialen Kriterien zu unterscheiden.
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Die enge Verzahnung der unterschiedlichen Funktionen verursachte weitere Probleme. Bedingt durch den geringen Platz wurden auch zunehmend hauswirtschaftliche Tätigkeiten im Wohnbereich wie Wäschetrocken oder Holzspalten in den Wohnraum verdrängt mit der Konsequenz, dass die unzureichende Belüftung in den Gebäuden zusätzlich die mangelhaften Wohnsituationen verschärfte. Mit dem Funktionswechsel im privaten ging häufig aber auch ein Funktionswechsel im gewerblichen Bereich einher. Spätestens ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde viele Gebäude im Erdgeschoss häufig als Gewerberaum genutzt – mit der Tendenz der zunehmenden Vergrößerung der Flächen. Eine reglementierende Bauordnung, die man in dem Zusammenhang hätte vermuten können, wird aber erst gegen [[1900]] erlassen und greift faktisch erst gegen Ende des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieges]]. Viele Arbeitsstätten befanden sich in Wohnungen oder zumindest im Bereich der Mietshäuser, da  Wohnen- und Arbeitsstätte in der frühindustriellen Zeitphase nahezu identisch waren. Dr. Adolf Mair schrieb in der Topo- und Ethnographie des Physikatsbezirks Fürth [[1861]], dass „''als Eigentümlichkeit Fürths genannt werden muss, dass selbst lärmende Gewerbe, z.B. Schreiner, Drechsler, in den höchsten Etagen wohnen … die Arbeitslokale sind meist zu klein, zu niedrig und schlecht… [es] darf nicht wundern, wenn man erwägt, dass mit Mühe passende zu erstellen sind und meist gewöhnliche Zimmer dazu eingerichtet werden''“<ref>Mair, A., Ott, H.: Fürth zu Beginn des Industriezeitalters. Hrsg. vom Geschichtsverein Fürth e. V., Fürth, 1989/ 1861, S. 52</ref>. Auch die Einrichtung von Industriebetrieben in diesem Kernbereich war keine Seltenheit. Hinter den einheitlichen Fronten eröffneten sich im Blockinneren meist kleinteilige und individuelle Hofbebauungen, die zum Teil unhaltbare Zustände für die Bewohner schufen. Nur wenige Betriebe mussten auf Grund ihrer Gefährdungssituation sich außerhalb des Stadtgebietes ansiedeln.
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Eine Untersuchung der Wohnverhältnisse aus dem Jahr [[1907]] belegt eindrucksvoll, dass um die Jahrhundertwende nach wie vor 35% aller Fürther Betriebe in Nebenräumen von Wohnungen untergebracht waren, die häufig in den älteren und kleinindustriell durchsetzten Vierteln in den unteren Geschossen existierten. Von 1.930 Wohnungen waren 14 % mit einer gewerblichen Nutzung in den Nebenräumen und Rückgebäude zu finden, während weitere 41 % der gewerblich genutzten Räume sich in den Obergeschossen befanden. Allerdings sind diese Zahlen schon damals kritisiert und als geschönt bewertet worden, da laut Definition die Überbelegung erst dann der Fall war, wenn in einem heizbaren Raum mehr als vier Personen wohnten bzw. in zwei Zimmer mehr als sieben und in drei mehr als zehn Personen wohnten. Damit lag die Bewohnerzahl je Hausgrundstück um [[1900]] bei 24,8 Personen pro Anwesen. Lediglich Berlin mit 77 und München mit 37 Personen pro Anwesen lagen deutlich darüber.
  
==Geschichte==
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== Beginn des 20. Jahrhunderts ==
[[Datei:Gänsberg Winter A3043.jpg‎|miniatur|links|Gänsberg im Winter, 1938]]
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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Gänsberg nach dessen völliger Zerstörung im Jahre [[1634]] nur langsam baulich wieder erholte. Dabei konnte aber der Wachstum der baulichen und infrastrukturellen Substanz nicht mit dem Wachstum der Bevölkerung mithalten, so dass es in vielen Bereichen zu eklatant schlechten Wohnverhältnissen kam. Die gleichzeitige Industriealisierung und Zunahme der gewerblichen Betriebe führten zu einer weiteren Verschlechterung der Gesamtsituation. In der Summe – neben dem weiteren Aspekt des steigenden Verkehrsaufkommens – konnte sich die Stadtentwicklung nur südlich bzw. südöstlich weiter ausdehnen, wie es das 18. und vor allem das späte 19. Jahrhundert sehr anschaulich belegen durch die Vielzahl der entstanden Häuser in der Ost- und Südstadt. Die meisten Investitionen der Grundstückseigentümer, aber auch der Kommune, konzentrierte sich  auf die neuen zentralen Bereiche der Stadt und deren Erweiterungsgebiete, womit sich die Mitte der Stadt immer weiter nach Osten verschob. Im Gegensatz zu anderen Städten wie Nürnberg, Regensburg oder Rothenburg war die Fürther Altstadt zu diesem Zeitpunkt für die Bevölkerung nicht identitätsstiftend genug, um einen weiteren Verfall der Altstadt aufzuhalten. Vielmehr beginnt eine Abwanderungsbewegung aus der Altstadt. Wer es sich leisten kann, versucht bereits im späten 19. Jahrhundert aus dem Gänsberg wegzuziehen, in die weit modernen und besseren Stadtteile Fürths.  
[[Bild:'Alter'_Gänsberg.jpg|thumb|right| Luftbild des "alten" Gänsberg, der Parkplatz gegenüber der [[Kirche St. Michael]] ist der Bereich des zerstörten "[[Schulhof]]".]]Der Gänsberg war neben dem [[St. Michael]]-Viertel der zweite Fürther Altstadtteil. Er war der jüngere der beiden Altstadtteile. Seine Bebauung begann nach dem [[Dreißigjähriger Krieg|Dreißigjährigen Krieg]].  
 
Im Zuge einer rigorosen Flächensanierung wurde er in den 1960er Jahren abgerissen und mit völlig anderer Raumaufteilung neu bebaut. Am Rand des Gänsbergviertels stand das zweite wichtige geschichtliche Gebäude, einer der [[Dreiherrschaft|Dreiherren]] von Fürth, das [[Geleitshaus]]. Es wurde erst 1968 auch im Zuge der "Flächensanierung" abgerissen.
 
  
Im Bereich des Gänsbergviertels war von [[1617]] bis zum Jahre [[1938]], als es dem Naziterror zum Opfer fiel, das Zentrum der [[Fiorda|Jüdischen Gemeinde]] von Fürth - der [[Schulhof]]. Es blieb eine große Sandwüstung übrig, die jahrzehntelang nur als Parkplatz genutzt wurde und erst im Zuge der "Flächensanierung" neu bebaut wurde. Seit [[1986]] erinnert nur noch ein [[Synagogendenkmal|Denkmal]] in der [[Geleitsgasse]] an diesen sehr traditionsreichen historischen Ort.
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Während der Bevölkerungszuwachs in Fürth vor dem 20. Jahrhundert primär noch durch die Landflucht bedingt war und durch die Industriealisierung verschärft wurde, spielte der Zuwachs der Bevölkerung durch Kriegseinflüsse zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Das sollte ich im 20. Jahrhundert massiv ändern. Bereits um [[1930]] – so der 2. Bürgermeister Johann-Adam „Hans“ Segitz  - wurden erstmals Überlegungen laut, den Gänsberg einer Sanierung zuzuführen, bzw. dessen Abriss in Erwägung zu ziehen. Doch hierzu kam es nicht mehr, da die Kriegswirren solche Überlegungen in den Hintergrund treten ließen. Dies wäre aus heutiger Sicht dennoch der günstigste Zeitpunkt gewesen  – zwischen den beiden Weltkriegen – wenn man ernsthaft den weiteren Verfall des Gänsbergs hätte aufhalten wollen. Denn was nach dem 2. Weltkrieg folgte, führte nun endgültig zum Aus des Altstadtviertels.  
  
Beschreibung des Gänsbergviertels anhand eines Stadtspaziergangs im Jahr 1933 von Dr. [[Eduard Rühl]], ausgehend von der [[Maxbrücke]]:<br>
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Zunächst hatte Fürth den Vorteil, dass die Bausubstanz während des 2. Weltkrieges weitestgehend erhalten geblieben war, dass sich jetzt aber gewissermaßen zu einem Nachteil für die Stadt auswirkte. Die meisten umliegenden Städte waren ausgebombt und boten somit keinen Wohnraum – nur Fürth nicht - hier befanden sich noch intakte Häuser und Wohnungen, gerade im Altstadtbereich bzw. im Gänsberg. Während also die Zuwanderungswellen in der Vergangenheit noch in der Quantität überschaubar waren, stellte es nun nach [[1945]] die Stadt vor fast unlösbare Probleme. Noch zum Kriegsende wohnten in Fürth knapp 60.000 Menschen, doch das änderte sich schnell. Zunächst mussten die Menschen aus den ausgebombten Nachbarstädten in dem bestehenden Wohnbestand untergebracht werden (ca. 10.000 Menschen alleine aus Nürnberg), gefolgt von den Kriegsflüchtlingen aus den ehemaligen Ostgebieten des Reiches. Gleichzeitig kamen die Heimkehrer und Kriegsgefangenen langsam wieder in ihre Stadt zurück (ca. 8 – 10.000 Menschen) und zusätzlich mussten noch Ausländer und Staatenlose mit aufgenommen werden, die eine Bleibe suchten. Erschwerend kam hinzu, dass die US-Militärregierung ca. 600 bis 700 Wohnungen für ihre eigenen Zwecke beschlagnahmt hatten<ref>Barbara Ohm: Fürth – Geschichte der Stadt. Jungkunz Verlag, Fürth, 2007, S. 319</ref>. Bereits nach kurzer Zeit war im Sommer [[1945]] die Einwohnerzahl wieder gleich die der Vorkriegszeit, nämlich ca. 79.000 Einwohner. Innerhalb von nur ein paar wenigen Wochen ein Plus von knapp 20.000 Menschen. Nur wenige Monate später waren es erneut 10.000 Einwohner mehr und im Oktober [[1946]] erreicht die Stadt knapp die 100.000 Einwohner-Marke. Das Zuzugsverbot, dass bereits am [[27. Juli]] [[1945]] durch die US-Militärregierung erlassen wurde, hatte faktisch keine Bedeutung. Bis [[1955]] kamen insgesamt 17.010 Vertriebene aus den ehem. Ostgebieten und nochmals 3.629 Menschen aus der sowjetischen Besatzungszone – der künftigen DDR nach Fürth<ref>Hirt, W.: Fürth – Wiederaufbau eines Gemeinwesens – Entwicklung einer Großstadt 1946 – 1955, Fürth, 1956, S. 105</ref>.
''Beim Rückweg biegen wir etwas rechts aus und steigen diesmal die [[Bergstraße]] hinauf, die der Eingeborene "Gänsberg" nennt. Das Häuser- und Straßengewinkel, das sich längs dieser findet, in der wir vielleicht die älteste Durchgangsstraße sehen dürfen, ist von ganz anderer Art als etwa die [[Königstraße]] oder der [[Marktplatz]]. Hier eine gewisse Weite und Behäbigkeit, dort (am Gänsberg) ist alles eng und dürftig und bescheiden. Während wir drüben an Marktplatz - Königstraße einen ständigen Verschönerungsprozess beobachten können, vom Fachwerk- bis zum dekorativen Empiregiebel, scheint hier nach dem Wiederaufbau von 1634 Entwicklung und Zeit stehengeblieben zu sein. Wir stehen im ursprünglichsten Teile von Alt-Fürth. Und doch hat, und das ist noch nicht so lange her, dieser eine Stadtteil sein äußeres auch einmal verändert. Zahlreiche Häuser dieses Viertels sind nämlich verschiefert und zwar nicht nur auf der Wetterseite, sondern allseits. Dieser Wechsel kann erst nach Erbauung der Eisenbahn erfolgt sein, denn Schiefer gibt es bei uns nirgends; erst die Eisenbahn brachte die Möglichkeit, dieses Werkmaterial verhältnismäßig billig zu bekommen. Wenn nun durch diese Verschieferung das alte Fachwerk fast restlos zugedeckt wurde und Schiefer einer malerischen Wirkung nicht gerade entgegenkommt, so kann doch auch diesen Häusern, besonders wenn sie irgendwie zu einer Gruppe zusammengefasst sind, ein gewisser Reiz nicht abgesprochen werden. Schreiten wir nun zum Beweise links durch den [[Schulhof]] (Hof vor der Synagoge), zu dem der Spitzturm der [[Kirche St. Michael|Michaelskirche]] herübergrüßt. Schon stehen wir wieder in der Königstraße und jetzt fällt uns auf, das auch auf sie die Verschieferung übergegriffen hat (...)''<ref>Dr. Eduard Rühl: Das Gesicht von Alt-Fürth. In: Fränkische Heimat, Sonderheft, 12. Jahrgang, Juni 1933, S. 192</ref>
 
  
== Bezeichnung und Erstreckung ==
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[[Datei:Gänsberg Winter A3043.jpg‎|miniatur|links|Gänsberg im Winter, 1938]]
"Gänsberg" ist der Flurname für den Uferberg in Erstreckung zwischen [[Königstraße]] und [[Jüdischer Friedhof|jüdischem Friedhof]]. Der Name leitet sich von den ''Gänsen'' ab und nicht - wie um 1700 herum erfunden - vom ''Gehen''. Als eine der ersten Erwähnungen dieser bis heute geläufigen Bezeichnung ist bereits der März des Jahres [[1449]] zu nennen. Um [[1700]] versuchte man, den Namen durch die an die erfundene Definition angepasste Phantasiebezeichnung ''Gänger'' oder ''Gängenberg'' zu verdrängen.
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[[Bild:'Alter'_Gänsberg.jpg|thumb|right| Luftbild des "alten" Gänsberg, der Parkplatz gegenüber der [[Kirche St. Michael]] ist der Bereich des zerstörten "[[Schulhof]]".]]
  
 
== "Flächensanierung" ==
 
== "Flächensanierung" ==
 
[[Bild:Utopia.jpg|thumb|left|Gedankenspiele zur Neubebauung]]
 
[[Bild:Utopia.jpg|thumb|left|Gedankenspiele zur Neubebauung]]
 
[[Datei:A1722 Gänsbergabriss.jpg|thumb|right|Stand der Abrissarbeiten um 1973]]
 
[[Datei:A1722 Gänsbergabriss.jpg|thumb|right|Stand der Abrissarbeiten um 1973]]
[[1958]] wurde über den Gänsberg eine Bausperre verhängt, der [[1962]] die ersten Abrissaktivitäten folgten. Doch bis zur endgültigen Neubebauung, die erst mit der Einweihung der [[Stadthalle]] im Jahr [[1982]] als beendet betrachtet werden kann, dauerte es noch so lange, dass das Areal zwischenzeitlich unter dem Namen '''Scherzer-Wüste''' bekannt war - benannt nach dem damaligen Oberbürgermeister [[Kurt Scherzer]].
 
[[Datei:Luftbild Gänsberg Abriss.jpg|miniatur|rechts|Aufnahme vom Gänsberg während der Flächensanierung, ca. 1970]]
 
* Siehe '''Hauptartikel [[Flächensanierung]]'''
 
{{Neutralität}}
 
=== Sozialer Aspekt ===
 
Da bei der Flächensanierung die Bevölkerung umgesiedelt werden musste, zerbrach das soziale Gefüge der zentralen Innenstadt in weiten Teilen. Dies hatte für den näheren Umkreis des Gänsbergs enorme Folgen. So änderte sich z. B. die Struktur der Gastronomie in den folgenden Jahren drastisch und viele Geschäfte um den Gänsberg verschwanden aus dem Stadtbild.
 
  
Am Gänsberg wohnten die sozial schwächeren Bevölkerungsteile Fürths. Ein Problem, dessen man sich vorsätzlich mit der Flächensanierung ebenso auf einfachstem Wege entledigen wollte wie der tiefergehenden Auseinandersetzung mit dem Grundstück des ehemaligen jüdischen Schulhofes.
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Die Diskussion bzgl. einer Sanierung der Altstadt hatte [[1956]] die [[FDP]] im [[Stadtrat]] begonnen. Insbesondere der [[FDP]] [[Stadtrat]] und Anwohner des Gänsbergs [[Hans Lotter]] hatte die Diskussion um den Abriss der Altstadthäuser angeheizt. "''Von der Altstadt aus entwickelte sich das heutige Bild der Stadt, jahrhundertelang lag dort das Zentrum unseres Gemeinwesens … Heute verfallen Gebäude, ohne Möglichkeit, dem Einhalt zu gebieten. Es ist ein Wohnen dort in drangvoller Enge mit all den bekannten unerfreulichen Folgeerscheinungen für Gesundheit, Familie und Hausfrieden. Die Verhältnisse sind rückständig, die Straßen dem Verkehr nicht gewachsen.''"<ref>Fürther Nachrichten, Befragung bei den Altstädtlern - Des alten Gänsbergs verheißungsvolle Zukunft. Vom 2. August 1958</ref> Der Umstand, dass das nötige Geld für eine Sanierung fehlte, und die vorherrschende Wohnungsnot die Sanierung verhindere, lies Lotter das Projekt der Sanierung wie folgt titulierten: „''… das [geht] über die Kraft einer Generation''“<ref>Fürther Nachrichten, Lebhafte Diskussion bei der FDP um das Problem der Sanierung der Altstadtverhältnisse, vom 31. Oktober 1956</ref> – und er sollte damit recht haben, auch wenn das noch zu diesem Zeitpunkt niemand ahnen konnte. Zwar fiel Lotters Idee bei der Stadt auf offene Ohren, aber der Kulturreferent Dr. [[Schwammberger]] drückte sich dies bzgl. wie folgt dazu aus: das Vorhaben wäre wie „Wasser in den Fürther Wein gießen“, da die Sanierung letztendlich nur eine finanzielle Frage darstellen würde und vor allem zum aktuellen Zeitpunkt – bei noch über 2.000 fehlenden zusätzlichen Wohnungen und Wartezeiten von über 10 Jahren auf die Zuteilung einer Wohnung – wäre der Abriss des Gänsbergs grob fahrlässig. Die Fürther Nachrichten berichten am [[31. Oktober]] [[1956]]: „Leider eben das alte Lied: die Notwendigkeit der Altstadtsanierung wird von jedermann erkannt, dringend ist sie auch, weil ja eine Reihe von noch bewohnten Häusern schon so baufällig sind, dass sie schon längst geräumt werden müssten, doch fehlt es an dem nötigen Geld, um diesen Plan in absehbarer Zeit durchzuführen. … “<ref>Fürther Nachrichten, Lebhafte Diskussion bei der FDP um das Problem der Sanierung der Altstadtverhältnisse, vom 31. Oktober 1956</ref> 
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Was folgt ist eine 13-jährige Bausperre für das Sanierungsgebiet Gänsberg, dass jede Form der Sanierung oder Renovierung den Eigentümern versagte. Auch die verfehlte Bundespolitik, die eine Sanierung des Gebietes finanziell nur unterstützte, wenn zuvor die bestehende Bausubstanz beseitigt wurde - führten in der Folge zum Untergang des Gänsbergs.  
  
=== Wirtschaftlicher Aspekt ===
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* Siehe '''Hauptartikel [[Flächensanierung]]'''
[[Bild:Gänsberg Bebauung.jpg|thumb|right|Neubebauung des Gänsbergs]]Es darf trotz des so oft zitierten Raubbaues an den Gebäuden des Gänsbergs nicht verschwiegen werden, dass die Flächensanierung aus wirtschaftlicher Sicht ein voller Erfolg für die Stadt Fürth war. Zur damaligen Zeit stellte der Freistaat Bayern nur für den Neubau von Wohnraum Fördergelder zur Verfügung, nicht aber für die Sanierung von Altbauten. Auch das Denkmalschutzgesetz trat erst später in Kraft und die Denkmalschutzvereine in Fürth (wie z. B. der [[Altstadtverein]]) entstanden erst durch die radikale "Altstadtsanierung".
+
[[Datei:Luftbild Gänsberg Abriss.jpg|miniatur|rechts|Aufnahme vom Gänsberg während der Flächensanierung, ca. 1970]]
  
 
==Literatur==
 
==Literatur==

Version vom 27. Januar 2017, 20:47 Uhr

Stadtplan des Gänsbergviertels, ca. 1960
Der Goonsberch um 1900

Der Gänsberg (färdderisch: "Goonsberch") war ein Fürther Altstadtteil. "Gänsberg" ist der Flurname für den Uferberg in Erstreckung zwischen Königstraße und jüdischem Friedhof. Der Name leitet sich von den Gänsen ab und nicht - wie um 1700 herum erfunden - vom Gehen. Als eine der ersten Erwähnungen dieser bis heute geläufigen Bezeichnung ist bereits der März des Jahres 1449 zu nennen. Um 1700 versuchte man, den Namen durch die an die erfundene Definition angepasste Phantasiebezeichnung Gänger oder Gängenberg zu verdrängen. Im Bereich des Gänsbergviertels war von 1617 bis zum Jahre 1938, als es dem Naziterror zum Opfer fiel, das Zentrum der Jüdischen Gemeinde von Fürth - der Schulhof.

Beschreibung des Gänsbergviertels anhand eines Stadtspaziergangs im Jahr 1933 von Dr. Eduard Rühl, ausgehend von der Maxbrücke:

Beim Rückweg biegen wir etwas rechts aus und steigen diesmal die Bergstraße hinauf, die der Eingeborene "Gänsberg" nennt. Das Häuser- und Straßengewinkel, das sich längs dieser findet, in der wir vielleicht die älteste Durchgangsstraße sehen dürfen, ist von ganz anderer Art als etwa die Königstraße oder der Marktplatz. Hier eine gewisse Weite und Behäbigkeit, dort (am Gänsberg) ist alles eng und dürftig und bescheiden. Während wir drüben an Marktplatz - Königstraße einen ständigen Verschönerungsprozess beobachten können, vom Fachwerk- bis zum dekorativen Empiregiebel, scheint hier nach dem Wiederaufbau von 1634 Entwicklung und Zeit stehengeblieben zu sein. Wir stehen im ursprünglichsten Teile von Alt-Fürth. Und doch hat, und das ist noch nicht so lange her, dieser eine Stadtteil sein äußeres auch einmal verändert. Zahlreiche Häuser dieses Viertels sind nämlich verschiefert und zwar nicht nur auf der Wetterseite, sondern allseits. Dieser Wechsel kann erst nach Erbauung der Eisenbahn erfolgt sein, denn Schiefer gibt es bei uns nirgends; erst die Eisenbahn brachte die Möglichkeit, dieses Werkmaterial verhältnismäßig billig zu bekommen. Wenn nun durch diese Verschieferung das alte Fachwerk fast restlos zugedeckt wurde und Schiefer einer malerischen Wirkung nicht gerade entgegenkommt, so kann doch auch diesen Häusern, besonders wenn sie irgendwie zu einer Gruppe zusammengefasst sind, ein gewisser Reiz nicht abgesprochen werden. Schreiten wir nun zum Beweise links durch den Schulhof (Hof vor der Synagoge), zu dem der Spitzturm der Michaelskirche herübergrüßt. Schon stehen wir wieder in der Königstraße und jetzt fällt uns auf, das auch auf sie die Verschieferung übergegriffen hat (...)[1]

Entstehung

Die bäuerliche Prägung Fürths bestimmte lange das Stadtbild, ehe im 16. Jahrhundert das Handwerk und die Gewerbetreibenden im Ortsbild dominanter wurden. Diese Entwicklung ging einher mit der Ansiedlung von Glaubensflüchtlingen aus den Niederlanden und Frankreich und dem Zuzug von Juden, deren Ansiedlung u.a. in Nürnberg untersagt war. Letzteres war zumindest von dem Bamberger Domprobst und dem Ansbacher Marktgraf gewünscht bzw. bewusst als Ansiedlungspolitik betrieben worden, um z.B. die Einnahmen von Schutzgeldzahlungen zu erhöhen oder den Wachstum des Ortes durch Handel zu fördern[2].

Steinerne Zeitzeugen der bäuerlich geprägten Zeit sind heute noch die bestehenden Bauernhöfe, z.B. im Bereich der Gustavstraße der Rednitz- und Traubenhof. Mit den Zuwanderungswellen kamen ebenfalls neue Gewerbearten und Berufsgruppen nach Fürth, so z. B. die Gewerbearten der Gieß- und Kohlehütten sowie Messingbetriebe, Tabakanbau, Uhr- und Brillenmacher. Am förderlichsten für das Wirtschaftsleben war, insbesondere im 18. Jahrhundert, die Konkurrenz zu Nürnberg. Durch eine restriktive Auslegung der Zunftordnung wurde sowohl den Juden als auch vielen anderen Handwerkern die Ausübung ihrer Tätigkeit in der Reichsstadt Nürnberg untersagt, so dass diese sich in Fürth – vor den Toren Nürnbergs - ansiedelten und damit das städtische Wirtschaftsleben deutlich beförderten. Diese berufliche Verdrängung der landwirtschaftlichen Betriebe spiegelte sich auch in der Entwicklung des Gänsbergs wieder, in dem die bäuerlichen Betriebe zunehmend räumlich aus dem Siedlungskern an den Rand verdrängt wurden.

Siedlungskern der Altstadt war zunächst der Königshof und die Michaeliskirche, die sich auf der Terrasse im Zusammenfluss von Rednitz und Pegnitz befand. Die Grenzen der mittelalterlichen Siedlung befanden sich vermutlich zwischen der heutigen Ammonstraße, der oberen Fischergasse und Waaggasse. Die genaue südliche Abgrenzung ist umstritten, lag aber vermutlich hinter der ehem. Synagoge im Bereich der heutigen Lilienstraße.

Der Chronist Wilhelm Funk schriebt in den Fürther Heimatblättern 1952, dass die Besiedlung des Gänsbergs vermutlich erst im 17. Jahrhundert erfolgte[3]. Die Ortsentwicklung vollzog jedoch eine jähe Zäsur durch die nahezu vollständige Zerstörung der Siedlung am 8. September 1634 während des 30-jährigen Krieges durch das kroatische Regiment. Bis auf wenige Häuser aus Stein, wie z.B. die Michaeliskirche, das Geleitshaus und die Synagoge, wurden nahezu alle Häuser in Fürth nahezu vollständig zerstört. Auch die Bevölkerung halbiert sich fast auf knapp 800 MenschenReferenzfehler: Für ein <ref>-Tag fehlt ein schließendes </ref>-Tag.</ref>. Erst mit dem Friedenschluss 1648 begann in Fürth der Wiederaufbau, wobei sich dabei die massive Bauweise mittels Steinen im Hausbau durchsetzte.

Die erste größere Ortserweiterung erfolgte bereits 1672. Dabei wurden Flächen des Ansbacher Markgrafen südlich des Geleitshauses überwiegend an Juden verkauft, so dass bis 1720 das Gelände bis zur heutigen Gartenstraße nahezu vollständig bebaut war. Der Wiederaufbau erfolgte in einem geschlossenen System, in dem sich benachbarte Häuser häufig eine Brandmauer teilten. Die Bebauung war in einer typisch „fränkisch engen Reihe“ erfolgt, die lediglich schmale Zwischenräume für den Brandschutz und den Regenablauf zuließen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wird statt des geschlossenen Systems im Städtebau das offene System Fuß fassen, dessen Ansätze heute noch in der Villenbebauung in der Hornschuchpromenade zu erkennen sind.

Zentrum der Altstadt war der Marktplatz/ Grüner Markt, an dem sich später mit die wichtigsten öffentlichen Häuser befanden – das Amtshaus und das Geleitshaus. Geistliche Zentren bildete der Platz um die Michaeliskirche, deren Ursprung ein ummauerter Friedhof war, und der Synagogenplatz, der im 17. Jahrhundert seinen Ursprung hatte. Beide Plätze waren nicht direkt an die Hauptstraßen des Ortes angebunden, sondern nur über zum Teil verwinkelte Gassen zu erreichen. Die noch bestehenden Bauernhöfe wurden in der Folgezeit meist umgebaut und entwickelten sich im Netzwerk der Straßen häufig zu Sackgassen.

Mit zum Teil bis zu 40 Hausgrundstücken pro Hektar wies die Altstadt mit die engste Parzellierung auf. Ab 1670 versuchten zum Teil die Territorialherren in Ansbach, Bamberg und Nürnberg systematisch durch verschiedene Initiativen Einfluss auf die Stadtentwicklung zu nehmen. So wurde u. a. durch die Dompropstei in Bamberg im späten 17. Jahrhundert die verwinkelte und noch typisch altstädtische Schindelgasse an christliche und jüdische Bauwillige vergeben zur Verbesserung der Erschließung der Gegend, während gleichzeitig die Markgrafen von Ansbach ihren Hoheitsbereich um das ehem. Brandenburger Hauses – dem heutigen Rathaus – gradlinig ausbauten, z.B. durch die Besiedlung der heutigen Ludwig-Erhard-Straße (Sternstraße), Wasser- und Gartenstraße, sowie den Bereichen der Mohrenstraße und Obstmarkt. Die Ausdehnung nach Osten wurde um 1700 von Bamberger Juden initiiert, die die ersten Häuser auf dem Königsplatz errichteten und von dort aus die Häuser an der Baulinie des Brandenburger Hauses ausrichteten. In der Folge entstand dann die heutige Bäumen- und Alexanderstraße als völlig geradlinige Straßenzüge mit parallelen und typologisch einheitlichen Häuserzeilen.

Während des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Stadt rasant weiter, allerdings konnte sich die Stadt ausschließlich Richtung Süden und Osten weiterentwickeln. Durch die Randlage im Mündungsbereich zweier Flüsse vermochte sich der Siedlungskern nur einseitig weiterentwickeln, da die Bereiche nördlich und westlich häufig als Überschwemmungsgebiet nicht in Frage kamen.

Wohn- und Arbeitsplatz Gänsberg

Infolge der großen Zuwanderung wuchs das „nach der Einwohnerzahl nur mittelgroße Fürth … in seinem städtebaulichen Habitus als Teil der Agglomeration in großstädtische Dimensionen hinein.[4]“ Das heißt, dass die zum Teil drastische Bevölkerungsvermehrung mit der Wohnraumbeschaffung in vielen Fällen kaum mithalten konnte. Dies galt insbesondere für die sozial schwächeren und ärmeren Schichten der Bevölkerung, die für die Produktion von Gütern in zum Teil extrem prekären Arbeitsverhältnissen ihr Auskommen verdienen mussten. Wohnten um 1700 noch ca. 6.000 Menschen in Fürth, waren es keine 100 Jahre später bereits doppelt soviele Menschen. Bis 1900 hatte sich die Bevölkerung innerhalb von nur 200 Jahren fast verzehnfacht. Der Zuzug der Menschen wirkte sich u.a. in der Stadtentwicklung vor allem baulich dadurch aus, dass eine massive Verdichtung der bestehenden Siedlung am Gänsberg vollzogen wurde. In vielen Hinterhöfen entstanden zusätzliche Gebäude, bestehende Gebäude wurden aufgestockt und selbst die Haupthäuser der Eigentümer wurden so umgebaut, so dass sie weitere Mieter aufnehmen konnten. Auf diese Art wurden besonders im späten 17. und im 18. Jahrhundert viele Grundstücke in ihrer Bausubstanz verändert um Raum zu schaffen. Schon 1799 stellte der Zeitgenosse J. K. Bundschuh das alte Fürth als völlig übervölkerte Ansiedlung dar: „Die große Anzahl der Einwohner (steht) in keinem Verhältnisse mit der Häuserzahl – so wohnen gewöhnlich fünf, sechs, zwölf bis fünfzehn Familien in einem Hause und im sogenannten langen Hause sogar 36 Haushaltungen.“[5] Gemeint war hier das „Lange Haus“ an der Baldstraße aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, einem Vorläufer der Mietskaserne, dass allerdings um 1900 durch eine Mietshausgruppe ersetzt wurde.

Maßgeblich für die Baudichte im Stadtkern waren letztendlich eine Korrelation des hohen Bodenwertes und der Anspruch einer hohen Rentabilität bei optimaler „Mietshausbauweise“. Deshalb wurde abhängig vom Grundstücksanteil der Gärten und Hofräume stets die größtmögliche Verdichtung angestrebt. Tendenziell bestand von Seiten des Eigentümers der Anspruch die hohen Erschließungskosten niedrig zu halten, wodurch schmale und tiefe Baufelder und der Bau von Rückgebäuden einen hohen Stellenwert genoss. Dabei spielte die Funktion eines Gebäudes keine Rolle. Ein weiterer begünstigender Faktor der dichten Bebauung mag auch der fehlende öffentliche Nahverkehr dargestellt haben, die die Erschließung von Wohnraum und Arbeitsplatz notwendig machte. Eine Trennung von Arbeitsplatz und Wohnraum war bis weit in das 19. Jahrhundert nicht üblich, so dass die Menschen stets dort wohnten, wo sie arbeiteten.

Die Folgen der Verdichtung waren fatal. Die verbliebenen Höfe und Zwischenräume zwischen einzelnen Gebäuden waren häufig zu klein, um deren Funktion als Belüftung und Belichtung gerecht zu werden. Die Rückgebäude der Altstadt waren meist schmucklose Kleinhäuser aus Backstein in regloser Stellung, einzig mit dem Ansinnen, die ehemalige Hoflage auszufüllen. Ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde das klassische Wohnhaus durch sog. Mietshäuser abgelöst, während man gleichzeitig bemüht war die Zusammensetzung der Bewohner nach sozialen Kriterien zu unterscheiden.

Die enge Verzahnung der unterschiedlichen Funktionen verursachte weitere Probleme. Bedingt durch den geringen Platz wurden auch zunehmend hauswirtschaftliche Tätigkeiten im Wohnbereich wie Wäschetrocken oder Holzspalten in den Wohnraum verdrängt mit der Konsequenz, dass die unzureichende Belüftung in den Gebäuden zusätzlich die mangelhaften Wohnsituationen verschärfte. Mit dem Funktionswechsel im privaten ging häufig aber auch ein Funktionswechsel im gewerblichen Bereich einher. Spätestens ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde viele Gebäude im Erdgeschoss häufig als Gewerberaum genutzt – mit der Tendenz der zunehmenden Vergrößerung der Flächen. Eine reglementierende Bauordnung, die man in dem Zusammenhang hätte vermuten können, wird aber erst gegen 1900 erlassen und greift faktisch erst gegen Ende des Ersten Weltkrieges. Viele Arbeitsstätten befanden sich in Wohnungen oder zumindest im Bereich der Mietshäuser, da Wohnen- und Arbeitsstätte in der frühindustriellen Zeitphase nahezu identisch waren. Dr. Adolf Mair schrieb in der Topo- und Ethnographie des Physikatsbezirks Fürth 1861, dass „als Eigentümlichkeit Fürths genannt werden muss, dass selbst lärmende Gewerbe, z.B. Schreiner, Drechsler, in den höchsten Etagen wohnen … die Arbeitslokale sind meist zu klein, zu niedrig und schlecht… [es] darf nicht wundern, wenn man erwägt, dass mit Mühe passende zu erstellen sind und meist gewöhnliche Zimmer dazu eingerichtet werden[6]. Auch die Einrichtung von Industriebetrieben in diesem Kernbereich war keine Seltenheit. Hinter den einheitlichen Fronten eröffneten sich im Blockinneren meist kleinteilige und individuelle Hofbebauungen, die zum Teil unhaltbare Zustände für die Bewohner schufen. Nur wenige Betriebe mussten auf Grund ihrer Gefährdungssituation sich außerhalb des Stadtgebietes ansiedeln.

Eine Untersuchung der Wohnverhältnisse aus dem Jahr 1907 belegt eindrucksvoll, dass um die Jahrhundertwende nach wie vor 35% aller Fürther Betriebe in Nebenräumen von Wohnungen untergebracht waren, die häufig in den älteren und kleinindustriell durchsetzten Vierteln in den unteren Geschossen existierten. Von 1.930 Wohnungen waren 14 % mit einer gewerblichen Nutzung in den Nebenräumen und Rückgebäude zu finden, während weitere 41 % der gewerblich genutzten Räume sich in den Obergeschossen befanden. Allerdings sind diese Zahlen schon damals kritisiert und als geschönt bewertet worden, da laut Definition die Überbelegung erst dann der Fall war, wenn in einem heizbaren Raum mehr als vier Personen wohnten bzw. in zwei Zimmer mehr als sieben und in drei mehr als zehn Personen wohnten. Damit lag die Bewohnerzahl je Hausgrundstück um 1900 bei 24,8 Personen pro Anwesen. Lediglich Berlin mit 77 und München mit 37 Personen pro Anwesen lagen deutlich darüber.

Beginn des 20. Jahrhunderts

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Gänsberg nach dessen völliger Zerstörung im Jahre 1634 nur langsam baulich wieder erholte. Dabei konnte aber der Wachstum der baulichen und infrastrukturellen Substanz nicht mit dem Wachstum der Bevölkerung mithalten, so dass es in vielen Bereichen zu eklatant schlechten Wohnverhältnissen kam. Die gleichzeitige Industriealisierung und Zunahme der gewerblichen Betriebe führten zu einer weiteren Verschlechterung der Gesamtsituation. In der Summe – neben dem weiteren Aspekt des steigenden Verkehrsaufkommens – konnte sich die Stadtentwicklung nur südlich bzw. südöstlich weiter ausdehnen, wie es das 18. und vor allem das späte 19. Jahrhundert sehr anschaulich belegen durch die Vielzahl der entstanden Häuser in der Ost- und Südstadt. Die meisten Investitionen der Grundstückseigentümer, aber auch der Kommune, konzentrierte sich auf die neuen zentralen Bereiche der Stadt und deren Erweiterungsgebiete, womit sich die Mitte der Stadt immer weiter nach Osten verschob. Im Gegensatz zu anderen Städten wie Nürnberg, Regensburg oder Rothenburg war die Fürther Altstadt zu diesem Zeitpunkt für die Bevölkerung nicht identitätsstiftend genug, um einen weiteren Verfall der Altstadt aufzuhalten. Vielmehr beginnt eine Abwanderungsbewegung aus der Altstadt. Wer es sich leisten kann, versucht bereits im späten 19. Jahrhundert aus dem Gänsberg wegzuziehen, in die weit modernen und besseren Stadtteile Fürths.

Während der Bevölkerungszuwachs in Fürth vor dem 20. Jahrhundert primär noch durch die Landflucht bedingt war und durch die Industriealisierung verschärft wurde, spielte der Zuwachs der Bevölkerung durch Kriegseinflüsse zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Das sollte ich im 20. Jahrhundert massiv ändern. Bereits um 1930 – so der 2. Bürgermeister Johann-Adam „Hans“ Segitz - wurden erstmals Überlegungen laut, den Gänsberg einer Sanierung zuzuführen, bzw. dessen Abriss in Erwägung zu ziehen. Doch hierzu kam es nicht mehr, da die Kriegswirren solche Überlegungen in den Hintergrund treten ließen. Dies wäre aus heutiger Sicht dennoch der günstigste Zeitpunkt gewesen – zwischen den beiden Weltkriegen – wenn man ernsthaft den weiteren Verfall des Gänsbergs hätte aufhalten wollen. Denn was nach dem 2. Weltkrieg folgte, führte nun endgültig zum Aus des Altstadtviertels.

Zunächst hatte Fürth den Vorteil, dass die Bausubstanz während des 2. Weltkrieges weitestgehend erhalten geblieben war, dass sich jetzt aber gewissermaßen zu einem Nachteil für die Stadt auswirkte. Die meisten umliegenden Städte waren ausgebombt und boten somit keinen Wohnraum – nur Fürth nicht - hier befanden sich noch intakte Häuser und Wohnungen, gerade im Altstadtbereich bzw. im Gänsberg. Während also die Zuwanderungswellen in der Vergangenheit noch in der Quantität überschaubar waren, stellte es nun nach 1945 die Stadt vor fast unlösbare Probleme. Noch zum Kriegsende wohnten in Fürth knapp 60.000 Menschen, doch das änderte sich schnell. Zunächst mussten die Menschen aus den ausgebombten Nachbarstädten in dem bestehenden Wohnbestand untergebracht werden (ca. 10.000 Menschen alleine aus Nürnberg), gefolgt von den Kriegsflüchtlingen aus den ehemaligen Ostgebieten des Reiches. Gleichzeitig kamen die Heimkehrer und Kriegsgefangenen langsam wieder in ihre Stadt zurück (ca. 8 – 10.000 Menschen) und zusätzlich mussten noch Ausländer und Staatenlose mit aufgenommen werden, die eine Bleibe suchten. Erschwerend kam hinzu, dass die US-Militärregierung ca. 600 bis 700 Wohnungen für ihre eigenen Zwecke beschlagnahmt hatten[7]. Bereits nach kurzer Zeit war im Sommer 1945 die Einwohnerzahl wieder gleich die der Vorkriegszeit, nämlich ca. 79.000 Einwohner. Innerhalb von nur ein paar wenigen Wochen ein Plus von knapp 20.000 Menschen. Nur wenige Monate später waren es erneut 10.000 Einwohner mehr und im Oktober 1946 erreicht die Stadt knapp die 100.000 Einwohner-Marke. Das Zuzugsverbot, dass bereits am 27. Juli 1945 durch die US-Militärregierung erlassen wurde, hatte faktisch keine Bedeutung. Bis 1955 kamen insgesamt 17.010 Vertriebene aus den ehem. Ostgebieten und nochmals 3.629 Menschen aus der sowjetischen Besatzungszone – der künftigen DDR nach Fürth[8].

Gänsberg im Winter, 1938
Luftbild des "alten" Gänsberg, der Parkplatz gegenüber der Kirche St. Michael ist der Bereich des zerstörten "Schulhof".

"Flächensanierung"

Gedankenspiele zur Neubebauung
Stand der Abrissarbeiten um 1973

Die Diskussion bzgl. einer Sanierung der Altstadt hatte 1956 die FDP im Stadtrat begonnen. Insbesondere der FDP Stadtrat und Anwohner des Gänsbergs Hans Lotter hatte die Diskussion um den Abriss der Altstadthäuser angeheizt. "Von der Altstadt aus entwickelte sich das heutige Bild der Stadt, jahrhundertelang lag dort das Zentrum unseres Gemeinwesens … Heute verfallen Gebäude, ohne Möglichkeit, dem Einhalt zu gebieten. Es ist ein Wohnen dort in drangvoller Enge mit all den bekannten unerfreulichen Folgeerscheinungen für Gesundheit, Familie und Hausfrieden. Die Verhältnisse sind rückständig, die Straßen dem Verkehr nicht gewachsen."[9] Der Umstand, dass das nötige Geld für eine Sanierung fehlte, und die vorherrschende Wohnungsnot die Sanierung verhindere, lies Lotter das Projekt der Sanierung wie folgt titulierten: „… das [geht] über die Kraft einer Generation[10] – und er sollte damit recht haben, auch wenn das noch zu diesem Zeitpunkt niemand ahnen konnte. Zwar fiel Lotters Idee bei der Stadt auf offene Ohren, aber der Kulturreferent Dr. Schwammberger drückte sich dies bzgl. wie folgt dazu aus: das Vorhaben wäre wie „Wasser in den Fürther Wein gießen“, da die Sanierung letztendlich nur eine finanzielle Frage darstellen würde und vor allem zum aktuellen Zeitpunkt – bei noch über 2.000 fehlenden zusätzlichen Wohnungen und Wartezeiten von über 10 Jahren auf die Zuteilung einer Wohnung – wäre der Abriss des Gänsbergs grob fahrlässig. Die Fürther Nachrichten berichten am 31. Oktober 1956: „Leider eben das alte Lied: die Notwendigkeit der Altstadtsanierung wird von jedermann erkannt, dringend ist sie auch, weil ja eine Reihe von noch bewohnten Häusern schon so baufällig sind, dass sie schon längst geräumt werden müssten, doch fehlt es an dem nötigen Geld, um diesen Plan in absehbarer Zeit durchzuführen. … “[11]

Was folgt ist eine 13-jährige Bausperre für das Sanierungsgebiet Gänsberg, dass jede Form der Sanierung oder Renovierung den Eigentümern versagte. Auch die verfehlte Bundespolitik, die eine Sanierung des Gebietes finanziell nur unterstützte, wenn zuvor die bestehende Bausubstanz beseitigt wurde - führten in der Folge zum Untergang des Gänsbergs.

Aufnahme vom Gänsberg während der Flächensanierung, ca. 1970

Literatur

Siehe auch

Weblinks

  • Die Abräumer: 20 Jahre nach Abschluss der Flächensanierung des Gänsbergviertels in Fürth - PDF-Datei

Einzelnachweise

  1. Dr. Eduard Rühl: Das Gesicht von Alt-Fürth. In: Fränkische Heimat, Sonderheft, 12. Jahrgang, Juni 1933, S. 192
  2. Bernd Windsbacher: Geschichte der Stadt Fürth, C.H. Beck, München, 2007, S. 31
  3. Wilhelm Funk: Zur Stadtentwicklung von Fürth. Königshof - Markt - Stadt. In: Fürther Heimatblätter, 1952/1, S. 1 - 20
  4. Heinrich Habel: Denkmäler in Bayern – Stadt Fürth V.61. Karl-M.-Lipp-Verlag, München, 1994, S. XVII
  5. Heinrich Habel: Denkmäler in Bayern – Stadt Fürth V.61. Karl-M.-Lipp-Verlag, München, 1994, S. XVII
  6. Mair, A., Ott, H.: Fürth zu Beginn des Industriezeitalters. Hrsg. vom Geschichtsverein Fürth e. V., Fürth, 1989/ 1861, S. 52
  7. Barbara Ohm: Fürth – Geschichte der Stadt. Jungkunz Verlag, Fürth, 2007, S. 319
  8. Hirt, W.: Fürth – Wiederaufbau eines Gemeinwesens – Entwicklung einer Großstadt 1946 – 1955, Fürth, 1956, S. 105
  9. Fürther Nachrichten, Befragung bei den Altstädtlern - Des alten Gänsbergs verheißungsvolle Zukunft. Vom 2. August 1958
  10. Fürther Nachrichten, Lebhafte Diskussion bei der FDP um das Problem der Sanierung der Altstadtverhältnisse, vom 31. Oktober 1956
  11. Fürther Nachrichten, Lebhafte Diskussion bei der FDP um das Problem der Sanierung der Altstadtverhältnisse, vom 31. Oktober 1956

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