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Feuilleton

Dez zätsclkafa ^Hubez Eine Geschichte aus dem Buch »Lehrer, die wir hatten« von Ernst

Er war klein und beleibt, ein Huber, wie er im Buche steht. Er gab Deutsch. Ge­ schichte und Erdkunde. Auch an dieser Kombination war für einen Klassenleiter nichts Auffallendes. Unsere Ordinarien in der ersten und zweiten Klasse lehrten im Hauptfach allerdings Latem, was entschie­ den vornehmer war. Sie ließen dafür die ohnedies nicht ganz ernstzunehmende Geo­ graphie beiseite. Zwar war Geographie als Schulfach nicht so gering von Ansehen wie etwa Zeichnen: aber daß nicht viel hinter der Erdkunde stecken könnte, sah man schon daraus, daß sie im Absolutorium nicht ge­ prüft wurde. Sie hörte einfach auf. basta. Ich sage nicht, daß Huber statt Geogra­ phie besser hätte Latein lehren sollen! Zwar bot ihm die Geographie gewisse Schwierig­ keiten: Latein zu unterrichten, hätte ihm jedoch unüberwindliche geboten. Man wird bald verstehen, warum. Wir haben es auch nicht sofort verstanden, was es mit Huber für eine Bewandtnis hatte. Wir kamen erst im Verlauf einiger Monate dahinter und haben den Schlüssel für sein Geheimnis eigentlich nie gefunden. Huber ist uns bis zum heutigen Tage ein Bätsel geblieben, obwohl er so gar nicht danach aussah. Deshalb fange ich die Gymnasialzei­ ten mit seiner Geschichte an. Um eine richtige Geschichte handelt es sich dabei garnicht, das erschwert die Darstel­ lung. Es ereignete sich unter Hubers Ägide in der Klasse gar nichts besonders Erzäh­ lenswertes. Er selbst war das Besondere, das Phänomen. Ich überlege, wie man das mit einem deutschen Wort ausdrücken könnte. Denn in jenem Schuljahr hatte der erste Weltkrieg begonnen: an allen Wohnungs­ türen klebte das Schild: ..Weg mit dem französischen Adieu! Der Deutsche sagt Grüß Gott, Auf Wiedersehen!" Wir Bayern jedenfalls sagten so. ganz von selbst, seit Menschengedenken. Der Huber sagte es niemals, obwohl er ein Urbayer war. zu blauem Straßenanzug die grüne Trachtenweste trug, samt einem Uhr­ kettengehänge mit Hirschgrandeln. Huber grüßte, geradezu norddeutsch: ..Guten Mor­ gen", ..Guten Tag": zum Abschied hingegen mit dem urbajuwarischen ..Pfüat di!" ..Hockt Euch", kommandierte er. sobald er die Klasse betreten, ..hockt Euch nieder". Das heimelte an. Das war kein Befehl, wie das schneidige, leidige ..Setzen", das war mehr eine Einladung. Er selber hockte sich ebenfalls, zog den Stuhl hinter dem Kathe­ der hervor, ließ sich frei darauf nieder und faltete die Hände über dem Leib — ein Bild wohlwollenden Behagens. Es wurde einem selber warm dabei. Sooft er sich genötigt sah, etwas an die Tafel zu schreiben, nahm er gewissermaßen einen inneren Anlauf und schwang sich vom Stuhle herunter ; denn seine Beine waren ein wenig kurz geraten. Dafür hatte ihn die Natur mit umso achtungsgebietenderen Handwerkszeugen ausgestattet, mit richtigen Quadratpratzen. ..Ich will Euch den Fall lieber auftüpfeln", sagte er, und schrieb uns

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mit seinen gewaltigen Pranken, in denen je­ de neue Kreide sofort zerbrach, Namen und Jahreszahlen an, die wir uns einprägen soll­ ten. Wenigstens glaubten wir lange Zeit, daß dies seine Absicht sei, wenn er. in der Ge­ schichtsstunde vor allem, beide Wandtafeln bekritzelte. Auch andere Lehrer liebten ja dieses schriftliche Verfahren, wenn sie es auch nicht gerade Auftüpfeln nannten. So klang es jedenfalls gemütlicher: und wir ge­ wöhnten uns ebenfalls an, von Auf- und Ab­ tüpfeln zu sprechen. Ja unser aller Rede­ weise näherte sich der seinen, so wie Freun­ de und Liebende voneinander Ausdrücke übernehmen. Wir mochten den Huber und waren noch nicht von jener kritischen Auf­ merksamkeit geplagt, die auf die Eigentüm­ lichkeiten eines Lehrers, eines Spießers, wie wir sagten, geradezu lauert. . Es mußte mir mit der Zeit aber doch auffal­ len. daß ich so oft aufgerufen wurde, nicht mir, wenn ich selbst, sondern wenn einer meiner Nachbarn gemeint war. Neben mir saß der Kusche, hinter mir der Denzel, vor mir der Zahn. „Heimeran der Nebenmann", rief Huber auf. ..Heimeran der Hinter­ mann“, „Heimeran der Vordermann“. Je­ desmal zuckte ich natürlich zusammen. Of­ fenbar könnt Huber die Namen Kusche. Denzel. Zahn durchaus nicht behalten, ob­ wohl sie doch wahrhaftig nicht schwieriger waren als andere. Aber als sich das nach Wochen immer noch nicht änderte, setzte ich mich aus dieser gefährlichen Ecke weg zu Wallach, Ley und Baah und hatte fortan mehr Ruhe. Als wir das erstemal eine Schulaufgabe her­ ausbekamen, wurden wir schon stutziger. Huber fing mit den Vierern und Dreiern an — viele Lehrer nannten ja zuerst die schlechtesten Arbeiten — teilte aber dann anschließend nicht Zweier und Einser, Sou­ dern mehrere Gut, mehrere Recht-gut aus: und was sonst Eins-auf-Zwei oder Zwei-auf­ Drei hieß, bezeichnete Huber als recht-gut, aber mehr Bene, und als Bene, aber mehr Drei. Eine solch vertrackte Notengeberei war mit einer mundartlich gefärbten jovia­ len Redeweise nicht mehr zu erklären. Wir paßten ihm nun scharf auf den Mund, dem Guten. Da hatten wir etwa die Wüstenbildungen auf der Erde durchzumachen. Das Wort Wüste fiel auffälligerweise dabei kein ein­ ziges Mal. Bei Hübner hießen Wüsten weite Oedeneien, nicht etwa von Sand bedeckt, wie wir bisher vermuteten, sondern von fein­ gemahlenem Geröll und dergleichen. ,,Der­ gleichen“ war eine Hubersche Lieblingsflos­ kel. und ich habe Jahre gebraucht, um sie mir wieder abzugewöhnen. Es ist so bequem. ..und dergleichen“ zu sagen, wenn einem nichts mehr einfallen will. Am eingehendsten behandelte Huber die Go­ bi und die Kalahari. Die Sahara erwähnte er nur flüchtig, als eine Art Gobi in Afrika, worüber sich unsere späteren Geographie­ lehrer erstaunt zeigten. Noch mehr ver­ blüffte sie. daß wir Länder, wie Afghanistan und Beludschistan (und dergleichen) nach

Ur. Ernst Heimeran. der kürzlich verstor­ bene Schriftsteller und Verleger plauderte gern von seinen Schulerlebnissen. Auf un­ serem Bild teilt er gerade nach einem Vor­ trag im Neuen Gymnasium Nürnberg Auto­ gramme an Pennäler aus. Der Heimeranverlagigestattete uns freundlicherweise den Nachdruck von Geschichten aus dem be­ kannten Buch »Lehrer, die wir hatten«.

Hubers Vorbild als Afghanien und Behmien titulierten! Ich weiß nicht, welchem scharfsinnigen Klassenkameraden die Entdeckung gelang, daß Huber kein s sprechen konnte, über­ haupt keinen Zahn- und Zischlaut, und daß sich alle seine sprachlichen Seltsamkeiten daher erklärten. Diese Entdeckung war um Weihnachten ganz einfach da. und sie er­ klärte in der Tat alles. Wir gingen in Ge­ danken die Huberschen Stunden zurück und besaßen jetzt wahrhaftig für jede seiner Absonderlichkeiten einen Schlüssel. Jetzt be­ griff ich auch, warum er sich bei Kusche. Denzel, Zahn meines zischlosen Namens als Vorspann bediente, und warum er. nachdem ich mich weggesetzt, diese drei nur noch per ,,du da, er da, der da" aufrufen konnte und von uns nie als von seiner Klasse, sondern wie militärisch als von seiner Abteilung sprach. Aber du lieber Himmel, was heißt das ei­ gentlich, man kann kein s (sprechen? Irgend­ wie mußte Huber, der sich doch gesunder Zähne und einer gesunden Zunge erfreute, eine Art von Zischlaut hervorbringen kön­ nen? Ein kleiner Sprachfehler, ein bißchen Anstoßen und Feuchtigkeit war doch bei vielen Lehrern an der Tagesordnung und tat ihnen nicht sonderlich Abbruch. Warum probierte es Huber wenigstens nicht einmal, statt sich diese ungeheuerliche Plage anzu­ tun. jeden Zischlaut zu vermeiden? Wir ver­ suchten, spielweise miteinander ebenfalls ohne s auszukommen, aber wir strauchelten schon nach wenigen Minuten oder blieben stecken. Er aber strauchelte nie, blieb nie Fortsetzung Seite 6

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Jahrgang 3/1

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